Über den Autor Tamás Taschner

taschner tamas_600pxBei der Gedenkfeier in diesem Jahr (2014) in Ödenburg hielt Herr Tamás Taschner die Rede, die er uns dankenswerter Weise hat zukommen lassen.

Tamás ist indirekt von der Vertreibung betroffen, seine Urgroßeltern mussten Sopron im Jahr 1946 verlassen, während seine Großeltern bleiben konnten. So wuchs Tamás in Sopron auf, immer mit dem Bewusstsein, dass die Familie unter der Trennung leidet - das hat seine Kindheit und Jugend geprägt.

Tamás sagte uns, dass er der Meinung ist, dass Ödenburg durch die Vertreibung seine multikulturelle Ausprägung verloren hat. Sein Wunsch ist es - und wir schließen uns ihm in vollem Umfang an - dass die geschichtlichen Ereignisse die zur Vertreibung geführt haben niemals vergessen werden dürfen, und es unsere Verpflichtung ist, daran zu erinnern - schon aus dem Grund, damit solche traurigen Ereignisse nie wieder passieren müssen.

Danke Tamás für Deine schönen Worte und dafür, dass wir sie hier festhalten dürfen für all diejenigen, die bei der Feier in Ödenburg nicht dabei sein konnten.

 


 

Sehr geehrte Gedenkende,

Im Mai 1946 haben mehrere Angehörige meiner Familie in den Zügen gesessen, die -laut der damaligen Propaganda- die „Aussiedler ins Vaterland“ transportiert haben. Die Mutter, ein Bruder und eine Schwester meiner Großmutter sowie drei Brüder meines Großvaters mussten von der Heimat Abschied nehmen. Sie durften 20 Kg Gepäck pro Kopf mitnehmen, aber in die Koffer konnten sie weder ihre Häuser, den Stall, die Kühe, die Pferde noch – was Ihnen existenziell am wichtigsten war - den Weingarten, einpacken.

Sie haben Abschied genommen, aber nicht endgültig, weil sie das Unbegreifliche nicht begriffen haben. „Wir haben nichts gemacht, es ist nur ein Missverständnis, wir werden zurückkommen“ – sagten sie. Sie haben die Fässer vergraben, die Siele zugemauert. Noch viele Jahre später war das Klopfen zu hören, die Ansiedler haben in der Wand nach den Wertsachen gesucht.

Die Vertriebenen wurden von einem zerstörten Deutschland empfangen. Das „Vaterland“ hatte tausend Wunden, dazu kamen noch die Millionen der vertrieben Deutschen aus Ungarn und auch aus anderen Ländern. Die Ödenburger wurden in der Neuen Heimat als Fremde angenommen, sie durften die Wohnstätte nicht verlassen, haben im Stall geschlafen und mussten ohne Lohn nur fürs Essen und die Unterkunft hart arbeiten.

Karl Grafl, mein Onkel, konnte aus Deutschland nach Ödenburg entkommen und ohne weiteres durfte er die Fachschule absolvieren. Das neue Machtsystem war noch nicht perfekt. Aber es wurde immer schlimmer und er ist erneut geflüchtet, diesmal zurück zu seiner Mutter nach Deutschland, was natürlich ständige Besuche der Polizei bei meinen Großeltern in Ödenburg gebracht hat.

Die Ödenburger hatten den festen Willen, sich in Deutschland zu integrieren, das Heimweh aber veranlasste sie, ihre alte Heimat zu besuchen. Anfangs war das nur so möglich, dass sie mit dem  Zug durch Ödenburg gefahren sind und beim Stopp, wobei sie nicht aussteigen durften, durch das Zugfenster auf die hier gebliebenen schauen konnten. Es war nur eine Minute Zeit, und auf beiden Seiten des Zugfensters wurde viel geweint. Daneben blieb noch der Briefwechsel in jedem Monat. Meine Großeltern durften erstmals in den 60er-Jahren die Verwandten in Deutschland besuchen. Ohne die Kinder, denn sie waren die Garantie, dass sie zurückkommen würden. Meine Urgroßmutter konnte mich nicht in den Armen halten, aber ich bewahre noch immer den Brief auf, in dem sie sich über meine Geburt freut. Das Wirtschaftswunder in Deutschland wäre ohne die Vertriebenen nicht zustande gekommen und die vertriebenen Ödenburger sind langsam hochgeschätzte Staatsbürger geworden.

Aber was ist nun mit meinen Großeltern passiert? Sie mussten füreinander kämpfen, denn anfangs sah es so aus, als ob mein Großvater in Ungarn bleiben dürfte, meine Großmutter dagegen fand ihren Namen auf der Liste der Aussiedler. In der Not erinnerte sich mein Vater daran, dass in den 50er-Jahren ein Bahnarbeiter namens Hórukk Pista, ein Mitglied der kommunistischen Partei, oft meine Großeltern in der Potschi Gasse besucht hatte und lange umsonst mit Essen und Getränken bewirtet worden war. Dieser war der Familie noch einen Gefallen schuldig und half dann mit seinem Einfluss, dass meine Großmutter in Ödenburg bleiben durfte.

Die Familie blieb also letztendlich zusammen, aber sie mussten ab dieser Zeit ein neues Leben führen, nichts war mehr wie vorher. Deutsch durfte nur noch Zuhause gesprochen werden. Ich als Enkelkind habe deshalb sehr wenig von der Sprache und der Identität erhalten. Die Familie lebte zurückgezogen und man war froh, von der Vertreibung verschont geblieben zu sein. Aber es ging allen schlecht: die in Ödenburg zurückgebliebenen lebten im Gefängnis einer unmenschlichen Macht, die Vertriebenen lebten in einem fremden Land. Ungarn hat Tausende wertvolle Leute verloren und Ödenburg seinen multikulturellen Charakter. Im alten Ödenburg lebten Ungarn, Deutsche und einige wenige Kroaten friedlich zusammen. Nach der Vertreibung machte sich in Ödenburg Diskriminierung, Angst und Zwiespalt breit. Die Vertreibung war unmenschlich und sinnlos.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich schließe mit den Worten: wir müssen der Vertreibung gedenken damit es niemals wieder passieren kann, dass Menschen aus der ungarischen Heimat wegen ihrer Sprache und Kultur vertrieben werden!