a) Neue Wirkungskräfte in der Gemeinde
Im Jahre 1939 fingen gleichzeitig drei neue Wirkungskräfte in der Gemeinde an, tätig zu werden: Der zweite Weltkrieg, der Volksbund und die neuerdings in Schwung gekommene Gemeindearbeit. Die Wirkung des Krieges offenbarte sich anfangs nur darin, daß die Deutschen seit 1938 Woche für Woche den Einmarsch Hitlers erwarteten. Später war der Krieg durch die Teuerung und die allgemeine Ruhelosigkeit spürbar geworden. Das angenehme Symptom des Krieges war bei uns die behobene Arbeitslosigkeit. Seit 1939 hatten unsere Arbeiter gute Arbeitsgelegenheiten und gute Einkünfte. Viele arbeiteten in Deutschland, so daß sie nur von Zeit zu Zeit heimkamen. Diese andauernde Bevölkerungsbewegung war jedoch nicht geeignet für das Erkennen und Betreuen der Gemeinde. Am Anfang begeisterte sich die Bevölkerung für den Krieg. Jedoch ließ dies nach, als er seine Opfer forderte. Die großdeutsche Bewegung verstärkte sich gleichfalls nach 1938 in unserer Gemeinde. Seit 1939 versuchte sie sich im Rahmen der Kirche geheim zu organisieren. Als das nicht möglich war, machte sie kehrt und nahm eine antikirchliche Richtung ein. Später wird davon ausführlich die Rede sein. Zweifellos war die Unsicherheit des Krieges und die Verbreitung des großdeutschen Geistes ein ungünstiger Zeitpunkt für den Beginn einer intensiven kirchlichen Arbeit und größerer kirchlichen Unternehmungen, wie Verselbständigung und Pfarrhausbau. Dies erklärte auch die vielen Spannungen zwischen Gemeinde und Pfarrer in dieser Zeit. Aber es war auch unzweifelhaft, daß dies die kirchliche Arbeit in Gang brachte.

b) Der Volksbund
Über den Volksbund muß ich ausführlich berichten, obwohl er keine kirchliche Bewegung war, dennoch unsere Gemeindearbeit wesentlich beeinflußte. Wir erwähnten schon, wie sich die deutsche Bewegung in unserer Gegend ausbreitete. Zwischen den zwei Weltkriegen hatte sie noch einen kleinen vaterländischen Anstrich. Der im Jahre 1938 erfolgte Anschluß Österreichs aber versetzte das Volk in Erregung: jedermann erwartete Hitlers Einmarsch, um auch unser Gebiet an Deutschland anzugliedern. Bei der zu Pfingsten 1939 erfolgten Abgeordnetenwahl kam die Regierung anstatt mit Gratz & Konsorten un mit dem gemäßigten UDV (Ungarländischer Deutscher Volksbildungsverein) mit dem VDU (Verein für das Deutschtum in Ungarn) überein und sicherte freie Betätigung zu. Aus dem VDU entwickelte sich nach dem Wiener Schiedsspruch aus dem Jahre 1941 der Volksbund. Doch bereits Ende der dreißiger Jahre betätigte sich die illegale Jugendbewegung des Franz Basch, die Jungkameradschaft. Der Organisator der deutschen Bewegung bei uns waren der Agendorfer Kreisarzt Johann Heiß und Frau, die in den dreißiger Jahren Edmund Scholtz auf Anraten der UDV hierher brachte. Die örtlichen Organisatoren der Jungkameradschaft waren der Halbjude und Fabrikangestellte Stefan Moricz und seine Verlobte und spätere Frau, die Lehrerin Friederike Schermann und Johann Hafenscher, Enkel des ehemaligen Lehrers gleichen Namens. Sie fertigten Hakenkreuzfahnen an und hißten sie zum Protest, sie zeichneten Hakenkreuze und verstreuten sie auf den Straßen. Nach Pfingsten marschierten sie bei einer Beerdigung einheitlich gekleidet demonstrativ auf. Am 21.6.1939 entzündeten sie am Kastanienwald das Sonnwendfeuer, deklarierten Gedichte und übersprangen nach altgermanischer Sitte das Feuer. Deswegen wurden mehr als 20 Jünglinge festgenommen. Sie hätten gerne den kirchlichen Rahmen für ihr illegales Treiben benutzt. So. z.B. wären sie gerne bei der Pfarrereinführung aufmarschiert wie in Agendorf Sie boten sich an, den kirchlichen Jugendverein zu unterstützen, wenn sie mitarbeiten dürften, wie in Agendorf. Nachdem ich damit nicht einverstanden war, betrachteten sie mich als Feind des Deutschtums. Noch vor meiner Wahl im Juni 1939 sollte ich ihnen Rechenschaft ablegen über mein Verhältnis zum Deutschtum. Diesbezüglich äußerte ich mich auf einer Gemeindehauptversammlung. Ich wies darauf hin, daß ich nicht politisierte, mich aber mit Vaterlandsverrätern nicht verbünden wollte. Es war keine Politik, wenn ich Leute für Vaterlandsverräter hielte, die Hitler erwarteten, denn wir leben von Gottes Gnaden in diesem Lande. Dagegen verkündigte ich das Evangelium von Christus jedermann in seiner Muttersprache. Diese Probleme klangen zartfühlend in meiner Einführungsansprache und bei der Einleitung meiner Jahrespfarrermeldung von 1940 an. Sie verbuchten mich als einen Feind des Deutschtums, und was immer ich auch tat, sie kritisierten mich aus diesem Grunde. 1940 übernahm der Bäckermeister Johann Berger die Führung des Volksbundes. Er war halbgebildet, ein befähigter, kluger Mann, der Zögling antikirchlicher Kreise. Den Volksbund führte er gegen das Ungartum wie gegen die Kirche. Von den Magyaren sprach er nur als Zugereiste. Ungarn verweigerte er wiederholt in seinem Laden die Bedienung. In einer seiner Meldungen titulierte er mich als "magyarische Bestie". In den Jahren 1941-42 erlebte der Volksbund seine Blütezeit. Der größte Teil der Gemeinde war Mitglied und die Jugend meistens mit einer grenzenlosen Begeisterung. Im übrigen trat die große Mehrheit nicht mit großer Begeisterung in den Volksbund ein. Nicht viele bestimmten die öffentliche Meinung, die die Menschen zum Eintritt zwang. Auch soziale Gesichtspunkte spielten unzweifelhaft eine Rolle. Das soziale Elende der Arbeiterschaft sah man als eine Unterdrückung der Minderheit an. Im Gegensatz dazu sah man die sozialen Erneuerungen Hitler-Deutschlands, in dem die Arbeiterschaft im Verhältnis zu uns ein wesentlich besseres Auskommen hatte, oft aber war der einzige Grund für den Eintritt in den Volksbund nur der, die Devisenerlaubnis zu bekommen, mit deren Hilfe sie ihren Verdienst im Ausland ihren Familien überweisen konnten. Über all diesem aber stand die Drohung: ""wenn Hitler kommt...!"" Und aus dem Schicksal der besetzten Völker wußte man, daß diese Drohung nicht grundlos war. Zur selben Zeit erreichte die Kirchenfeindlichkeit des Voksbundes ihren Höhepunkt. Eine Zeit lang boykottierte man mich. Die Anzahl der Kirchgänger war auf die Hälfte zurückgegangen, aber den Kirchgang als solchen konnten sie nicht abschaffen. Es gab Menschen, die meinen Gruß nicht erwiderten. Einige Konfirmanden gingen ohne zu grüßen an mir vorüber. Einmal wurde ich beworfen. Auf meine Haustür schrieb man drohende und verhöhnende Texte. Wenn sie meinten, daß dem Deutschtum von Seite der Behörde ein unrecht geschah, glaubten sie immer, ich stecke dahinter. Weder in der Kirche noch anderswo politisierte ich. Aber wenn ich nur davon sprach, daß unsere Zuversicht nicht bei den Menschen zu finden sein, Gott wird alle beschämen, die auf den Menschen vertrauen und er wird die Bäume nicht in den Himmel wachsen lassen, dann war das genug um hinauszuposaunen: Unser Pfarrer beschimpfte wieder einmal Hitler und die Deutschen. Es ist wahr, daß ich meine Meinung nie unter den Scheffel versteckte, lange noch erwähnte man meine am Heldengedenktag 1942 vor dem Ehrenmal gehaltene Anspreche, die auch der in geschlossenen Reihen aufmarschierte Volksbund bis zu Ende hörte. In meiner Rede ging ich von den damals oft erwähnten Partisanenkriegen aus: Die Partisanen zerrissen hinter der Front die Front. Auch unter uns gab es solche Partisanen im geistigen Sinne, die die Front zerreißen: Die Vaterlandsverräter und jene, die sich von Gott, Christus und der Kirche abwenden. Meine improvisierte ungarische Ansprache begann ich mit dem Satz: Meine ungarischen Brüder und Schwestern, ihr habt nicht nötig, daß ich euch von der Vaterlandsliebe spreche, aber um so mehr mahne ich euch, Gott die Treue zu halten. Die Ungarn freuten sich, die Deutschen waren beleidigt. Ich muß bemerken daß es in der Gemeinde immer eine kleine Gruppe gab, die mir ergeben war und mich verstand. Mein Verhältnis zur Mehrheit der Gemeinde war schmerzhaft unangenehm. Meine Lage erschwerte auch, daß es im Seniorrat außer mir nur noch 2 Pfarrer gab, von denen das Volk wußte, daß sie nicht zum Volksbund hielten. Mehrere meiner Kollegen hielten mich für einen schlechten Seelsorger, weil ich nicht zum Volk hielte. Auch unter den Pfarrern der ungarischen Gemeinden fand ich kaum einen verständnisvollen Gefährten: Sie vermischten die völkischen und kirchlichen Gesichtspunkte zumeist genau so wie die Deutschen.

c) Meine Beerdigungsansprachen
Bei meinem Vorgänger war die Leute daran gewöhnt, daß die Beerdigungsrede den Toten in den Mittelpunkt stellte und Länge und Maß der Ansprache sich nach der Vermögenslage der Familie, beziehungsweise nach der Stola richtete. Die Beerdigungsrede wurde bestellt und bezahlt. Bei der Anmeldung des Todesfalles sagte man, was die Rede enthalten sollte, und wenn der Pfarrer seine Sache zur Zufriedenheit aller löste, wurde er noch extra belohnt. Selbstverständlich erwartete man von mir das selbe. In den ersten Monaten ging alles noch gut. Es ergab sich, daß nur ärmere Leute starben, und die Angehörigen freuten sich über meine kürzeren zu Herzen gehenden Ansprachen. Am 9. Juni 1939 war die Beerdigung der Witwe Michael Rath. Sie starb an Lungenentzündung. Reich war die Familie und auch die Verwandtschaft. Die eine Tochter war die heimliche Führerin der Jungkameradschaft. Zur Beerdigung marschierte die Jungkameradschaft auf, so wie das ganze Dorf: mindestens 1.500 Menschen. Als Predigttext wählte ich Römer 8, 31. Mit den Worten "Was sollen wir nun dazu sagen?" zeigte ich die Größe der Trauer auf. Die Tränen flossen, als ich aber davon sprach "Ist Gott für uns, wer kann gegen uns ein?", versiegten auf einmal die Tränen. Das war ja nicht mehr interessant. Die Rede dauerte zehn Minuten lang. Vor dem Zuschaufeln des Grabes hielt der schon mal erwähnte Stefan Moricz einen Nachruf. Er sprach die Verstorbene an und hielt nun über "die Mutter" eine so zu Herzen gehende Grabrede, daß die Augen der Anwesenden vor Tränen schwammen. Das Volk schluchzte laut und stellte fest, daß dies eine richtige Rede war. Seitdem verfolgte mich das Mißgeschick bei meinen Grabansprachen. Die Leute selbst diskutierten über dieselben. In den Bibelstunden und bei anderen Gelegenheiten setzte ich den Leuten auseinander, daß der Prediger das Wort Gottes zu verkündigen habe. Er bekommt also nicht von den Menschen den Auftrag, was er zu sagen hat, und nicht von den Menschen hat er zu sprechen und sie zu loben, sondern Christus zu verkündigen. Ich konnte die Leute jedoch nicht beschwichtigen, da man in den Nachbargemeinden immer noch die Grabreden nach Bestellung hörte. Man schätzte wenigstens, daß meine Ansprachen kurz waren. Jedenfalls erzählte man, daß ich nicht predigen könne, und mit solchen Vorurteilen vernahmen sie dann auch meine Predigten. Wegen der Spannungen zwischen dem Volksbund und mir verbreitete sich die Meinung, daß ich der Gemeinde kein guter Pfarrer sein. Diese Stimmung ließ erst dann nach, als ich 1943 in Agendorf als Vertreter Dienst tat. Anfangs empfing man mich auch mißtrauisch, denn die Agendorfer Bauern hatten mit den Hiesigen seit je her Verbindung, die mir, wie schon erwähnt, mit einer Abneigung entgegenkamen und in Agendorf von mir Schlechtes erzählten. Als mich aber die Agendorfer kennenlernten, stellten sie fest, daß ich gar kein so unmöglicher Pfarrer sei. Sie behaupteten, daß sie den Wandorfern bei ihrer nächsten Begegnung gehörig den Kopf waschen würden, weil sie von mir so schlechte Gerüchte verbreiteten. Die Agendorfer hielten auch ihr Wort, und dies führte zweifellos wesentlich zur Verbesserung meines Verhältnisses zur Gemeinde bei.

d) Neuerungen
In Verbindung mit der Verselbständigung der Gemeinde war natürlich vieles neu im Vergleich mit den alten Bräuchen. Es war neu, daß man den Pfarrer nicht mehr von Agendorf holen mußte. Der sonntägliche Gottesdienst war neu. Ganz neu waren der Kindergottesdienst und die Morgenandacht. Und die Konfirmation wurde in der Gemeinde abgehalten, und zwar wegen des Platzmangels auf dem Schulhof. An Ort und Stelle wurden auch die Trauungen vorgenommen. Was heute natürlich ist, war damals Neuheit, und man mußte sich daran gewöhnen. Die Neuerungen erfolgten in den ersten Monaten reibungslos, ja sogar zur Freude der Gemeinde. Manchmal aber entstanden auch Schwierigkeiten, so z.B. ergab sich von selbst die Eingliederung der Taufe in den Nachmittagsgottesdienst. Früher taufte man die zur Taufe anstehenden Kinder wenn der Pfarrer nach Wandorf kam. Am Anfang meines Wirkens brachte man ohne besondere Weisung die Täuflinge anschließend an den Nachmittagsgottesdienst zur Taufe. Als ich dann merkte, daß viele Gläubige nach dem Gottesdienst sogar bei der Taufe und anschließend im Kindergottesdienst anwesend waren, schlug ich vor, die Taufe in die Schlußlithurgie des Gottesdienstes einzubauen. Dieser Gedanke gefiel den Leuten, und von da an, wurde es so gemacht. Es war ein günstiges Ergebnis daß die Gemeinde die Wichtigkeit der Taufe einsah und von da an war es ein Vergnügen, den Konfirmanden die Taufe im Unterricht nahe zu bringen. Mehr Sorgen bereitete die Frage der Taufpaten. Es war örtlicher Brauch daß man nur eine Taufpatin hatte und diese konnte unter meinem Vorgänger sogar katholisch sein. Von Anfang an bestand ich darauf, daß bei der Taufe wenigstens ein evangelischer Pate anwesend sei. In den meisten Fällen konnte ich dies mit schönen Worten und Überzeugung auch erreichen, nur in zwei Fällen gingen die Unzufriedenen nach Ödenburg, und dort wurde die Taufe so vollzogen daß nur katholische Paten zugegen waren. Es war nicht zu verwunderlich daß es unter solchen Umständen viele gab, die mich für einen Sonderling und Dickschädel hielten. Diese Frage konnte bis heute nicht gelöst werden, denn es gibt heute immer mehr, die an dem einen katholischen Paten festhalten und keinesfalls gewillt sind, auch evangelische Paten zu stellen. Auch in Verbindung mit der Konfirmation ging nicht alles reibungslos vonstatten. Bei der Konfirmation früher standen die Konfirmanden nach Verdienst und Können vor dem Altar und nur der Allerbeste durfte das Glaubensbekenntnis und Gelöbnis sprechen. Allem Anschein nach kamen auch gesellschaftliche Gesichtspunkte in Betracht. Ich stellte die Konfirmanden der Größe nach auf. "Wie Gott euch geschaffen hat"! sagte ich. Da im Kindesalter das Elend oft zugleich mit dem verkümmerten Wachstum verbunden ist, stand gleich bei der ersten Gelegenheit das ärmste Kind auf dem ersten Platz. Da gab es ein Gejammer in einer deutschen wohlhabenden Familie, sie beschwerte sich sogar, aber ums mehr freuten sich die anderen. Heute sind diese Neuheiten bereits selbstverständlich. Beim kirchlichen Aufgebot war früher die Bezeichnung der Unberührtheit Sitte. Bei den Jungen hieß es: "der ehrsame XYZ", bei den Mädchen "die Jungfrau SXZ". Langsam aber war in der Auslegung dieser Sitte eine Verschiebung eingetreten. Ohne Gewissensbisse zu haben, bezeichneten sich gerade die als "ehrlich", die noch keine oder noch keine geborenen Kinder hatten, und beim Aufgebot wurden in der Regel gerade die ausgezeichnet, die die gesetzwidrigen Folgen ihrer Verhältnisse vermeiden oder verschwinden lassen konnten. Deshalb ließ ich ab dem 1.1.1942 bei den Aufgeboten diese Unterscheidung weg. Es gab deswegen gleich bei den ersten Paaren, die "ehrlich" und gute Kirchgänger waren, einen Skandal. Sie waren beleidigt daß ich sie so abkündigte, als wenn sie ein Verhältnis miteinander gehabt hätten, ich konnte sie nur mit schwerer Mühe beschwichtigen. Heute denkt keiner mehr an solche Unterscheidungen, nur das können die "reinen Verlobten" tun, daß sie die Altarkerzen schmücken. Nach meiner Beobachtung wird das auch so gehandhabt. Hier muß ich auch noch erwähnen, daß es in unserer Gemeinde außerordentlich viele uneheliche Kinder gab. Außenstehende hielten dies für Zeichen moralischer Sittelosigkeit. Die Wahrheit aber war, daß viele Eltern wegen Armut und Arbeitslosigkeit die Heirat ihrer Kinder verboten, und die Jungen dann durch den Kindersegen die Heiratserlaubnis der Eltern erzwangen. Die meisten unehelichen Kinder wurden nachträglich legitimiert; dies blieb nur aus, wenn dem Vater irgendein Leid zustieß. Die Grabansprachen erwähnte ich schon. Es ergab sich noch eine Neuerung die Beerdigung betreffend. Schon 1941 wurde die neue Leichenhalle erbaut, damit die Beerdigungen von dort aus vorgenommen werden konnten. Aber da Volk bestand auch weiterhin auf der Beerdigung vom Hause aus. Wegen der großen Ausdehnung der Gemeinde dauerte manche Beerdigung stundenlang. Gar nicht gesprochen davon, daß in ärmeren Häusern die Familienangehörigen wegen des Verstorbenen auf die Straße gedrängt wurden. Nach der Bombardierung vom 6.12.1944 hatten wir auf einmal mehrere Tote. Wegen der Flüchtlinge waren die Häuser gestopft voll, ein zwei ärmere Menschen trug man einfach auf den Friedhof und beerdigte sie von dort aus. Diese Gelegenheit nahm ich wahr, und seither wurde jedermann vom Friedhof aus begraben, was ja in der Zeit der Luftangriffe ohnehin ratsam war. Eine Zeit lang ging alles gut, nur als ein wohlhabendes Gemeindeglied starb, verlangte man, daß man ihm eine besondere Behandlung zuteil werden ließe. Heute ist jeder daran gewöhnt und findest es so in Ordnung, damit sich die Beerdigung nicht stundenlang hinzieht. Zum Schluß erwähne ich noch, daß die Einführung des neuen Gesangbuches ohne jede Schwierigkeit vonstatten ging. Es ist geradezu ein Kuriosum, daß ich im Jahre 1937 als Ödenburger Kaplan gegen die Einführung des Sächsischen Gesangbuches war, und hier mußte gerade ich es einführen. Damit man vorerst das alte wie das neue Gesangbuch gleichzeitig benutzen konnte. Ließ ich auf der Tafel neben den alten auch die neuen Liedernummern schreiben. In den Gemeindegesangsstunden übte ich auch neue Melodien ein, und so verkauften sich immer mehr neue Bücher. Ich erfuhr erst später daß die Gläubigen das neue Buch nicht kannten, aber sie gewannen es in den Gesangstunden lieb und brachten es in den Gottesdienst mit. Es mußte manche Schwierigkeit überwunden werden, weil der Text mancher Lieder nicht übereinstimmte. Die Lage wurde unerträglich. Nach einem Gottesdienst besprach ich die Angelegenheit mit den Leuten. Sie verlangten, daß wir nur das neue Gesangbuch benutzen sollten. Ich riet zur Geduld, und wir einigten uns dahingehend, daß wir eine Zeit lang nur aus dem alten Buch singen wollten, damit genug Zeit zur Anschaffung des Neuen vorhanden sei, und vom 2.7.1939 an würde dann nur aus dem Neuen Buch gesungen. Den Stolperstein überstiegen wir ohne jedes Hindernis. Später zeigten sich leider die Nachteile der Einführung des neuen Gesangbuches. Nach 1943 war es nämlich nicht mehr erhältlich. Zur gleichen Zeit besserte sich der Kirchgang, aber viele kamen deshalb nicht ständig, weil sie kein Gesangbuch hatten. Bei uns geht man eben nicht ohne Buch zur Kirche!

e) Schule
Mit dem Lehrerkollegium hatte ich von Anfang an ein gutes Verhältnis. Den Religionsunterricht ließ ich auf Anraten unseres Bischofs in seiner Hand. Damit waren sie auch sehr zufrieden und versahen ihren Dienst auch ordentlich. Die Lehrer Ladislaus Polster und Josef Istenes waren mir auch in der Gemeindearbeit gute Helfer. Polster leitete den Kinder- und Männergesangverein und half mir bei der Veranstaltung von Feiern. Istenes besuchte gerne die Leute in ihren Häusern und versuchte, sie, seinem Namen entsprechend (Istenes=Mann Gottes) von den christlichen Wahrheiten zu überzeugen. Wir absolvierten viele Besuche zusammen. Bei den Vorbereitungen der Schulfeiern und Theaterstücken hingegen half ich den Lehrern. Mit dem Lehrerkollegium verband mich im Laufe der Zeit eine enge Kameradschaft. Später trat dann eine gewisse Entfremdung ein. Ich hatte zur Pflege des guten Verhältnisses wenig Zeit und die Zusammensetzung des Kollegiums änderte sich oft in dieser kriegerischen Zeit. Die seit 30 Jahren tätige Schuldienerin Frau Matthias Böhm (Böhm Moam) wurde pensioniert. An ihre Stelle kam dann der katholische Schuldiener Johann Cseri. Auf meinen Vorschlag stellte man eine ungarische Kinderabteilung in der Schule auf, für die dann katholische Lehrer eingestellt wurden. Mit Berufung auf die Organisationsverordnung (szervezö rendelet) beantragte ich dauernd die Auswechslung des Schuldieners und der katholischen Lehrer. Umsonst betonte ich, daß es mir nicht um Personen ginge, sondern um das Prinzip. Man klagte mich an, daß ich unerträglich, widerrechtlich und haßerfüllt gegen Katholiken sei. Der Schuldiener hetzte sogar den Schuldirektor gegen mich auf, bis der merkte, daß er log. Auch wegen der Schulfinanzen entstanden bald Spannungen. Anfangs war ich bemüht, alles für die Schule zu tun. Die Reparaturen, die Großreinigung im Sommer und die Anschaffung des Brennmaterials geschahen mit großem Einsatz. Auf einmal merkte ich, daß augenblicklich mehr Kohle verbraucht wurde als früher. Nachdem ich das im Kollegium erwähnt hatte, war man böse auf mich. Als ich dann im Schularchiv nachforschte, sah ich, daß die Heizung schon immer eine heikle Angelegenheit war. Tatsache, daß unsere Schulsteuer langsam das Doppelte der katholischen Steuer ausmachte, obwohl die Katholiken ihre konfessionelle Schule selbst verhielten. Am Schulgebäude fielen immer mehr Reparaturen an. Der Direktor argumentierte mit der Organisationsverordnung und verlangte von der Kirchengemeinde, daß sie die Schule in Ordnung halte. Ich hingegen nahm die Interessen der Gemeinde wahr und sagte, daß man der einen Hälfte der Gemeinde nicht mehr Schullasten aufbürden dürfe als der anderen und darum sollte man vom Staat Hilfe erbitten. Inzwischen waren einige Reparaturen verspätet ausgeführt worden. Ergebnis, man war auf mich grundlos böse. Dies alles hat scheinbar wenig mit dem Gemeindeleben zu tun. Zweifellos förderte die friedliche Zusammenarbeit mit den Lehrern die Gemindearbeit, ebenso aber störte die zeitweise eingetretene Spannung.

f) Die Anzeichen einer Besserung
Ich erwähnte schon, daß nach dem anfänglichen Aufschwung der Gemeindearbeit immer mehr Schwierigkeiten entstanden. Zwischen der gesellschaftlichen und nationalen Spannung und der Unsicherheit des Krieges waren die Verselbständigung der Gemeinde und der Pfarrhausbau von großer Bedeutung. Und dennoch gab es ein Gemeindeleben! Es ist anerkennenswert, daß in dieser kritischen Zeit immerhin noch die Kirchgänger 10% der Bevölkerung ausmachten. Dies ist bedeutend, denn der Kirchenbesuch war früher nicht sehr üblich, jetzt aber glich er einem Spießrutenlauf. Viele standen in Arbeitskleidung vor ihren Toren und beschimpften die Kirchgänger. Der gelindeste Spott lautete: "Betschwester, Pfarrernarrisch, Heilge-Abscheuliche!". Es gab wenige in der Gemeinde, die sich offen gegen mich oder die Kirche wendeten, nur einige großmäulige "Krakeeler" rissen die große Menge der Gemeinde mit sich. Oft waren die Kirchgänger selbst schuld, denn auf die Spötteleien antworteten sie nicht immer auf christliche Art und auch die Lebensweise mancher Kirchgänger gab Grund zur Kritik der Ungläubigen. Meine Worte wurden oft von den Kirchgängern entstellt weitergegeben und deshalb waren dann viele auf mich böse. Die Lage der Gemeinde begann sich ab 1942 zu bessern. Die Zahl der Kirchgänger stieg an, vor allem an Festtagen. Man schaute nicht mehr mit Abneigung auf mich, wenn auch ein unmittelbarer Verkehr mit einem Einzelnen so gut wie nicht möglich war. Für eine Gemeinde von 2.500 Seelen wäre ein zweite Pfarrer angebracht gewesen. Davon aber konnte keine Rede sein. Zur Unterstützung meiner eigenen Arbeit legte ich die Matrikel an. Ich konnte sie gut gebrauchen, doch aus Zeitmangel konnte ich nur wenige Besuch machen. Dem gegenüber suchten mich viele in meinem Amtszimmer auf. Wahrlich, die meisten suchten mich nicht immer wegen kirchlicher Angelegenheiten auf, aber solche Gelegenheiten nutzte ich für die Seelsorge. Die Anzeichen der Besserung drückte sich auch in der Zahl der Abendmahlsteilnehmer aus: 1939 – 10%, 1944 – 19%. Besonders erfreut war ich über die Teilnahme der Jugend an den Levente Gottesdiensten und Beichten. Ihnen gegenüber gebrauchte ich nie Zwang. Ich sagte ihnen: Wer nicht zur Kirch oder Beichte kommen will, der lasse es, es geschieht ihm nichts. Bei solcher Freiheit erschienen immerhin noch 40-50% der Jugend zum Gottesdienst und 40% zur Beichte. Schließlich ist noch erwähnenswert, daß die Opferbereitschaft der Gemeinde erfreulich wuchs. Die Summe der Kollekten und Spenden bewegte sich anfangs um die 2.000 Pengö, dann wuchs sie an, obwohl ich keine Gabe namentlich bekanntgab, so daß keinerlei Eitelkeit eine Rolle spielte. Wäre einmal bei der Hauptversammlung eine Summe nicht genehmigt worden, weil keine Deckung vorhanden war, so hätte ich mich an die Kirchgänger gewendet, die immer das nötige Geld auftrieben.

Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem Ungarischen von Matthias Ziegler