Bevor wir den Abschnitt "Schulwesen" abschließen, wollen wir noch einen Blick auf den Höhepunkt des Harkauer Schulwesens werfen, auf die ,Harkauer Präparandie"!
Der bereits wiederholt zitierte Kirchenhistoriker Prof. Alexander Payr gab im Jahre 1916 eine 48seitige ungarische Schrift heraus, zu deutsch: Adelige Akademie in Harkau zur Zeit Josem., wobei er sich auf die von Nagy verfaßte 146seitige Selbstbiographie stützt. Ich versuche, aus dieser Abhandlung das wichtigste zu veröffentlichen, wobei ich vermerken will, daß manches von dem schon beim Abschnitt "Pfarrer Nagy" und beim "Schulwesen" angeklungen ist.
 
Bevor Georg Nagy im Jahre 1783 Pfarrer in Harkau wurde, war er schon 17 Jahre "Subrektor" (=stellvertretender Schulleiter) am evang. Gymnasium in Ödenburg. Sein Studium hatte er in Ödenburg und auf der Universität in Jena absolviert, wo er Studienkollege und Freund des späteren weltberühmten Pädagogen und Philanthropen Christian Salzmann war, dessen pädagogisches Wirken und dessen Schriften Nagy auch nach seinem Studium mit großer Aufmerksamkeit verfolgte, so daß Nagy in damaliger Zeit ein sehr modern unterrichtender Lehrer und Erzieher am evang. Gymnasium in Ödenburg war. Er setzte die Theorie auch in die Praxis um, indem er z. B. nicht nur mit seinen eigenen Schülern sondern auch mit den Gymnasiasten der Dominikaner Patres die Feldvermessung auf den Löwer-Wiesen übte. Seine kirchlichen wie auch weltlichen Vorgesetzten - z. B, der kath. GrafNicky, Oberinspektor über das ganze Schulwesen des Komitates - waren über sein pädagogisches Können und seinen Eifer voll des Lobes. "Er war ein warmherziger, leicht erregbarer Lehrer, der aber jederzeit bereit war, auch große Opfer zu bringen, für Freunde, Lehrer und Schüler, wenn diese in Unannehmlichkeiten geraten waren," schreibt ein Zeitgenosse über ihn. Seine Begabung und sein Fleiß brachten ihm auch großes Ansehen, so daß viele ungarische, auch griechisch-katholiche Adelige, aber auch Popen ihre Söhne zu Nagy nach Ödenburg schickten, damit sie sowohl Nagys öffentlichen als auch seinen Privatunterricht besuchten.
 
Als Nagy die Pfarrstelle in der neu gegründeten evang. Kirchengemeinde in Harkau annahm, brachte er gleich einen Syntaxisten seiner Schule, Johann Schopf, als Lehrer mit nach Harkau. Da dieser jedoch kein Diplom hatte, unterrichtete ihn Nagy so erfolgreich, daß er ein Jahr später mit Auszeichnung vor einer weltlichen Prüfungskommission in Raab seine Lehrerprüfung ablegte. Mit der Neugründung von evang. Kirchengemeinden wurden auch viele evang. Schulen gegründet, aber Lehrer waren sehr rar. Darum unterrichtete Nagy noch mehrere erwachsene Schüler in seiner Privatwohnung und bildete sie zu Lehrern aus. Namentlich sind uns nur die zwei Harkauer "Bauernbuben" Reitter Johann Georg, der auch Lehrer in Harkau wurde, sowie Reitter Johann, der ein Jahr Lehrer in Harkau war, dann jedoch an der Göttinger Universität Musik studierte und anschließend Kantor und Organist in Preßburg, der damaligen Hauptstadt Ungarns, wurde. Somit hat Nagy in Harkau eine "Lehrerpräparandie", wie man sie damals nannte, gegründet. Morgens um 6 Uhr begann er in seinem eigenen Zimmer den Unterricht mit relativ jungen Lehranwärtern. Aber nicht nur diese alleine waren seine Schüler.
 
Wie bereits erwähnt, gab Josef II. 1784 eine Verordnung heraus, laut welcher in Ungarn die lateinische Unterrichts- und Verwaltungssprache durch die deutsche Sprache ersetzt werden sollte. Alle Verwaltungsbeamten, die binnen drei Jahren die deutsche Sprache nicht beherrschten, sollten amtsverlustig werden. Nun war aber die Komitatsverwaltung die Domäne des niederen ungarischen Adels, der die deutsche Sprache nicht oder kaum beherrschte.
 
Bei einer Komitatsversammlung des Adels gingen deswegen die Wellen besonders hoch. Ein anwesender Tafelrichter und viele andere Adelige beklagten sich, daß ihre Söhne die schwere deutsche Sprache nicht erlernen könnten. Da meldete sich Nagy, der als Adeliger auch an der Versammlung teilnahm, zu Wort und bot den Herren seinen Dienst an, indem er ihnen sagte: "Geben Sie Ihre Söhne zu mir in den Unterricht Ich versichere Ihnen, daß sie binnen einem halben Jahr die deutsche Sprache mündlich und schriftlich erlernen werden. Jeder, der sich meldet, wird ohne Unterschied der Konfession aufgenommen und umsonst von mir unter- richtet!"
 
Tatsächlich meldeten sich viele adelige Jünglinge, um in Nagy's Schule in Harkau dringend deutsch zu lernen. Allein 15 röm. kath. Adelige, darunter auch der Sohn des Anwalts des Eisenburger Kapitels, nahmen an seinem Unterricht teil. Es kamen aber auch Calvinisten aus Debreczen und Söhne griechisch-katholischer Adeligen und Popen aus Karloca. Sogar der höchste Wiener Kulturdirektor, Van Swieten, sandte einen seiner kroatischen Schützlinge zu Nagy nach Harkau, damit dieser deutsch lerne. Große Sorge bereitete die Unterbringung der adeligen Jungherrn. Zwei kath. Adelige wohnten beim kath. Pfarrer, einige bei Nagy, andere bei den Harkauer Bauernfamilien Kobermann, Roßner, Kolb, Eckl, Marx u. a. Sie zahlten monatlich 8 Gulden für Wohnung und Verpflegung. Die Schule war aber nicht nur der Stolz des Pfarrers und Lehrers Nagy, sondern auch der Harkauer selbst Als 1787 der Bischof auf Visitation in Harkau weilte, führte ihm der Harkauer Richter Kolb mit Stolz auch die adeligen Schüler von Nagy vor, die beim Richter wohnten, "und der Bischof und seine Begleiter waren voll des Lobes über das glänzende Examen, das die Schüler dieser Schule vor ihnen ablegten" (Payr.)
 
Diese wirksame Tätigkeit Nagy's in Harkau rief auch Neider auf den Plan. Ein Herr Bernyacski, Direktor und Obernotar in Ödenburg, zeigte Nagy wegen seiner Tätigkeit bei Graf Nicky, dem Oberinspektor des ganzen Schulwesens im Komitat Ödenburg, an. Dieser sandte auch den Stuhlrichter (etwa Landrat) nach Harkau, um die Schulsituation in Harkau amtlich zu untersuchen. Der Stuhlrichter stieg im kath. Pfarrhaus(!) ab und veranlaßte, daß der Harkauer Richter Hans Kolb, sämtliche Jünglinge, die Schüler von Pfarrer Nagy waren, ihm vorführe. Einzeln verhörte er die 15 Jünglinge, und dann entließ er sie mit den Worten: "Sie können jetzt gehen, meine jugendlichen Freunde! Lernen Sie auch weiterhin so fleißig, damit Sie in die Verwaltung übernommen werden können!"
 
Die Günser Tafelrichter waren besonders schlau. Da auch sie wegen mangelnder Deutschkenntnisse um ihre Stelle fürchteten, schickten sie zwei ihrer Söhne nach Harkau, sie sollten die Schule Nagy's besuchen, seine Methode und Erfolge prüfen, das ihren Vätern berichten, sich aber nicht zu erkennen geben. Nachdem sie eine geraume Zeit Schüler bei Nagy waren und große Fortschritte im Erlernen der deutschen Sprache machten, rückten sie doch mit ihrer Identität heraus und luden Nagy - im Auftrag ihrer Väter - nach Güns ein, er möge dort vor den Tafelrichtern einen Vortrag halten über seine Methode des Deutschlernens. Nagy kam dieser Einladung gerne nach. Sein Vortrag muß so überzeugend gewesen sein, daß die Richter versuchten, Nagy für die zu errichtende Stelle eines Schulinspektors für die beiden Komitate Ödenburg und Eisenburg zu gewinnen. Nagy, dessen Herz immer für Erziehung schlug, war auch bereit, diese Stelle anzunehmen. vorher mußte er allerdings seine Harkauer Pfarrstelle kündigen. Als er von Harkau Abschied genommen hatte (Sept. 1789),jedoch ehe er seine hohe Stelle in Güns antreten konnte, starb plötzlich Kaiser Josef II. Die Reaktion der Magyaren auf die "Germanisierungsbestrebungen" Josef II. nach dessen Tod war enorm. In Wirklichkeit wollte Josef II. in seinem Reich an Stelle der lateinischen die deutsche Verwaltungssprache einführen. Den Vorwurf, er beabsichtige, die Muttersprache der Magyaren zu vernichten, nannte der Kaiser selbst einen Wahnsinn, denn er wolle keineswegs die Sprache von Millionen, sondern nur die unmögliche Lage beseitigen, daß diese Millionen in einer toten Sprache regiert werden. Die große 'Ungarische Geschichte' weist sehr richtig darauf hin, daß Josef II. als Sohn der universal denkenden Aufklärung keinesfalls solche nationalistische Ziele verfolgt haben konnte, wie sie erst im 19. Jahrhundert möglich wurden. Trotzdem behaupteten die Schulbücher und volkstümlichen Geschichtswerke der Magyaren (bis 1945): "der Kaiser habe die ungarische Sprache vernichten wollen" (Dr. Weidlein, Pannomicl S. 411). Nach dem Tode Josef II. steigerte sich das ohnehin schon große Nationalbewußtsein der Magyaren noch 150 Jahre. Die Sprache der Verwaltung wurde aber sofort wieder lateinisch Somit ist die im ganzen Lande bekannte "Harkauer Präparandie" mit dem Wegzug ihre Pfarrers eingegangen, bzw. mit dem Tode des Monarchen z. T. überflüssig geworden.
 
Quelle: "Harkau - mein Heimatdorf ",
die Geschichte eines deutschen Bauerndorfes in Westungarn
Andreas Schindler (1987)