Wenn eine Siedlung über mehr als 2000 Jahre bewohnt wird und noch dazu lückenlos ein „zentraler Ort“ bleibt, sagt dies einiges über die Lagegunst aus. Es gibt wohl im ganzen Bereich des Überganges vom Ostalpenraum zur Kleinen Ungarischen Tiefebene keinen Platz, der günstiger gelegen war und ist. Ruster Hügelland und Neusiedler See im Norden und Ödenburger Bergland im Süden lassen einen schmalen, nur wenige Kilometer breiten „Durchlass“, die Ödenburger Pforte, offen.

 

Sie verbindet zwei Großlandschaften, zwei Wirtschaftsräume. Seit urgeschichtlicher Zeit führt die wichtigste europäische Nord-Süd-Verbindung am Ostalpenrand durch die Pforte. Kleinräumig gesehen ist das Gebiet um die Stadt ein Paradies. Die Böden sind vor allem im Bereich des Spittelbaches (Ikva) hervorragende Schwarzerdeböden und seit der Jungsteinzeit intensiv erschlossen, die Klimagunst, bedingt durch die Nähe des Sees, ermöglichte den Qualitätsweinbau, die Bäche aus dem Ödenburger Bergland (Krebsenbach – Rakpatak, Wandorfer Bach) liefern hervorragendes Wasser, die Wälder des Berglandes ausreichend Holz. Warum sollte ein solcher Platz, an dem Nord-Süd- und Ost-West-Durchzugsstraßen sich trafen, jemals unbesiedelt bleiben? Selbst jene Epochen, in denen die Pforte Einfallstraße kriegerischer Eroberungszüge wurde, blieb sie bevorzugter Lebensraum. So etwa zeigte sich zum Erstaunen der Archäologen und Historiker, dass Scarabantia inmitten der „Wirren“ der Völkerwanderungszeit, im 6. Jahrhundert, eine erstaunliche Blütezeit erlebte. Um ein zweites Beispiel zu nennen: auch die Eroberung des Tieflandes durch die Magyaren dürfte die Siedlungskontinuität nicht wesentlich gestört haben. Die Chancen der Lagegunst überwogen anscheinend immer die Risiken. Zwei Jahrtausende lang blieben die Stadtbefestigungen erhalten. Zweitausend Jahre sind in der räumlichen Struktur der Stadt, ja selbst in der funktionalen Raumgliederung bis heute greifbar und erfahrbar. Es gibt in Europa wohl nur wenige Städte, die ein derartiges Erbe vorweisen können.

 

Die Risiken der Lage brachten der Stadt allerdings auch manche Probleme ein und stellten sie nicht selten vor Loyalitätskonflikte. Im Zusammenhang mit Türken- und Kuruzzenkriegen, mit Reformation und Gegenreformation wird darauf noch einzugehen sein. Die Stadt meisterte diese Konflikte zumeist souverän und betrieb eine Politik, die in manchem an die Stadtstaaten Italiens in der Renaissance oder an die Reichsstädte des Römisch-Deutschen Reiches erinnert. Dieser Vergleich ist auch im Hinblick auf das Bemühen, ein Stadtterritorium aufzubauen, durchaus gerechtfertigt. Persönlichkeiten wie der berühmte Bürgermeister und Humanist Christoph Lackner haben weit über die Stadt hinaus eine Rolle gespielt. Die Lage an der Grenze zweier Sprachräume hat freilich auch beachtliche Verschiebungen in der Identität der Bewohner zur Folge gehabt. 500 Jahre war die Stadt ein bedeutender Mittelpunkt des keltischen Pannonien, 500 Jahre lang war sie römische Großstadt, vor 1200 Jahren, in der Karolingerzeit, bekam sie ihren deutschen Namen und 800 Jahre lang war sie deutschungarische Bürgerstadt. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Ödenburg in einem langen, sehr interessanten Prozess allmählich zu Sopron. Dieser Prozess wurde dann 1946 brutal beendet.