litera14g

Autor(en):
divers

Erscheinungsjahr:
2010

Bezugsquelle:
Buchhandlungen, Ödenburg

Preis: ca. 30 Euro

 
 
ungarischer Titel:
Magyar Várostörténeti Atlasz 1: Sopron -
engl.:
Hungarian Atlas of Historic towns No. 1

Alle Texte leider nur auf ungarisch und englisch!

 

Buchbesprechung von Michael Floiger

    Mappenwerk im Großformat (A 3) mit einer Hauptkarte der Stadt nach dem Franziszeischen Kataster im Maßstab 1 : 2500, Umgebungskarten nach der Josephinischen und Franziszeischen Landesaufnahme, verkleinert auf den Maßstab 1: 50 000, einer topographischen Karte und einer Luftbildaufnahme der heutigen Stadt; dazu zahlreiche thematische Karten und Stadtansichten. Das Begleitbuch, ebenfalls im Großformat, umfasst 87 Seiten und ist ebenfalls reich mit Bildern, alten Ansichten und Rekonstruktionszeichnungen ausgestattet. Unter den Herausgebern und Autoren sind einige der bekanntesten Stadtgeschichtsforscher Soprons: Ferenc Jankó, Joszef Kücsán, Katalin Szende, Ferenc Dávid, Károly Goda und Melinda Kiss.

    1968 legte die Internationale Kommission für Stadtgeschichtsforschung die Grundlagen für das europaweite Projekt, dem sich die meisten Staaten angeschlossen haben. In Deutschland und in Österreich sind inzwischen zahlreiche Bände erschienen, insgesamt liegen bereits etwa 450 Stadtmonographien vor. Im benachbarten Burgenland etwa wurden Eisenstadt und Rust Ende der 1980er Jahre bearbeitet. In Ungarn hat Jenö Szücs schon in den 1960er Jahren in einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften die Notwendigkeit intensiver Stadtgeschichtsforschung betont. Aber erst 2004 wurde ein entsprechendes Projekt begonnen und zunächst vier Städte bearbeitet. Leiterin des Gesamtprojektes ist heute Katalin Szende.

    Der mit Spannung erwartete erste Band, der Atlas zur Ödenburger Stadtgeschichte, liegt nun vor. Er ist ein großartiges Werk geworden, eine hoch interessante Zusammenfassung der Stadtgeschichtsforschung der letzten Jahrzehnte, aber auch mit vielen neuen Erkenntnissen. Der Ankauf dieses Werkes ist ein „Muss“ für jeden an der Stadt Ödenburg/Sopron Interessierten.

    Die Texte konzentrieren sich hauptsächlich auf die bauliche, räumliche und topographische Entwicklung der Stadt von den frühesten Anfängen bis in die Gegenwart. Der Abschnitt über die Römerzeit ist, aufbauend auf die Forschungen János Gyömöris, mit den Reproduktionszeichnungen János Sedlmayers ausgestattet. Eine Fundortkarte fehlt leider, wird aber hoffentlich bald im großen, zehnbändigen Werk zur Stadtgeschichte nachgeliefert werden.

    Zur frühmittelalterlichen Geschichte der Stadt werden die Thesen Mollays zwar noch erwähnt, aber ohne die Spekulationen zu einer „öden Burg“ außerhalb der Stadt. Mit der Ansicht, dass die karolingerzeitliche Entstehung des Ödenburg-Namens keineswegs eine baierisch-fränkische Besiedlung der Innenstadt bedeuten muss, kann man durchaus einverstanden sein. Eine awarisch-magyarische Kontinuität wird ebenfalls fallen gelassen und die frühe Anwesenheit der Magyaren sehr vorsichtig, den archäologischen Erkenntnissen entsprechend, interpretiert. Die Gespansburg und die Errichtung der „Roten Schanzen“ wird erwartungsgemäß ausführlich diskutiert, die Datierung in die 1040er Jahre (und nicht in die Zeit Stephans des Heiligen) für die eher zutreffende erklärt. Zur Erklärung des Sopron-Namens wird der Personenname Sophronius – vielleicht als erster Gespan – herangezogen. Interessant ist der Abschnitt über die Ansiedlung und die Aufgaben der Johanniter sowie über die Aufparzellierung der Innenstadt mit etwa gleichzeitiger Errichtung des Franziskanerklosters. Auch die Problematik der erzwungenen Übersiedlung der Bürger aus der Vorstadt in die Innenstadt wird kurz diskutiert. Eher wenig Beachtung findet der Zuzug der deutschen Hospites, er wird nur kurz neben der Zuwanderung der Grenzwächter erwähnt.

    Besonders interessant und plausibel sind die Karte zur Entwicklung der Vorstädte und die Texte zur Entwicklung der Märkte und des Verkehrsnetzes. Großartig auch die Beschreibung der baulichen Entwicklung im 18. und in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Bebauung der Grabenrunde usw. durch Joszef Kücsan und anschließend die Darstellung der Entwicklung von 1850 bis in die Gegenwart durch Ferenc Jánko, der auch die funktionalen Stadtregionen gut herausarbeitet. Die Nebenkarten etwa, die Auswertung der Steuerregister, geben tiefe Einblicke auch in die sozialen Strukturen.

    Der Atlas wird für die zukünftige Stadtgeschichtsforschung unentbehrlich sein. Trotzdem muss – bei aller Anerkennung der Leistung der Autoren – aus der Sicht der 800-jährigen Geschichte des deutschen Ödenburg, die eine oder andere kritische Anmerkung gestattet sein. Jankó schafft es, die Vertreibung der Ödenburger, immerhin ein Viertel der Bevölkerung, in einem Nebensatz unterzubringen, sozusagen als vorzeitige Lösung eines städtebaulichen Problems. Eine Karte mit einer Lokalisierung der Häuser, aus denen die Bewohner vertrieben wurden, wäre auf Grund der Forschungen von András Krisch durchaus möglich gewesen. Auch die sozial-und wirtschaftsgeschichtlichen Auswirkungen, die Änderung der Besitzverhältnisse, die Ansiedlung der Zuwanderer haben doch die Stadtentwicklung ganz entscheidend beeinflusst. Man muss anerkennen, dass die deutschen topographischen Bezeichnungen immer wieder – wenn auch nicht durchgehend konsequent – erwähnt werden. Nirgendwo wird aber klar und deutlich ausgesprochen, dass die Stadt über viele Jahrhunderte hinweg eine nahezu rein deutsche Stadt war.

    Diese Tatsache wirkt auf den deutschsprachigen Historiker, der pausenlos mit der „Dekonstruktion“, d.h. Zerstörung traditioneller Geschichtsbilder und mit der Überbetonung der Geschichte von Randgruppen, auch ethnischer Minderheiten, konfrontiert ist, doch recht sonderbar und in seiner Verkrampftheit fast schon belustigend. Ich weiß natürlich um die Überempfindlichkeit des magyarischen Nationalgefühls und auch, dass der ungarische Historiker, wenn er sich keine Probleme einhandeln will, manches nicht zu deutlich aussprechen darf. Aber auch das „Nichtaussprechen“ von Fakten kann unser Bild von der Vergangenheit gehörig in Schieflage bringen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Tatsache hingewiesen, dass Legenden und Texte zweisprachig sind, in ungarischer und – englischer Sprache. Es ist schon klar, dass internationale Großprojekte wie der Städteatlas möglichst „international“ zugänglich sein sollen. Ob es allerdings in diesem speziellen Fall die richtige Entscheidung war, wage ich zu bezweifeln.

    Michael Floiger, 2010