kolontar 014. Oktober 2010, 12.25 Uhr – Sirenen heulten, der Damm war gebrochen. Tausende Kubikmeter tödlichen roten Schlammes wälzten sich auf die kleine Ortschaft Kolontar zu. Bald waren die ersten Häuser erreicht, zum Teil gleich weggerissen, menschen mitgerissen, so wälzte sich die Schlammflut gegen Devencser. Nun, dies alles kann man heute noch im Internet nachlesen. Und darum geht es in diesem Beitrag ja auch gar nicht mehr. Das alles ist schon Vergangenheit, schrecklich zwar, aber doch schon – vorbei. Was nicht vorbei ist, nie vorbei sein wird, das sind die Erinnerungen.
In diesem Beitrag aber geht es um andere Dinge. Es geht vor allem darum, dass ein Mensch, dessen Verwandte in Kolontár lebten, hier bei uns in Schattendorf arbeitete. Schwer geschockt, mit Tränen in den Augen, erzählte er damals, vor über einem Jahr, was da unten in Ungarn passiert ist. Dass die Oma vom Schlamm getötet wurde, hunderte Meter vom Haus entfernt, gefunden wurde, dass die Häuser vom Schlamm überflutet sind, dass alles, was seine Schwiegereltern retten konnten, das eigene nackte Leben war. 

Es erschütterte uns, hier zuhören zu müssen in dem Bewußtsein, nicht helfen zu können. Nicht helfen können? Oh ja, und ob! In den nächsten Stunden und Tagen schleppten die Schattendorfer alles an Wäsche und Lebensmitteln und Kleidern an, was sie nur entbehren konnten. Ein Konto wurde bei der Commerzialbank eingerichet, um auch ein wenig Geld für die kleinen, aber wichtigen Dinge zu haben.

Stefan, unser Freund, der im Restaurant Reichl als Kellner arbeitet, verfrachtete alle gespendeten Waren nach Kolontár bzw. in die provisorische Unterkunft seiner Schwiegereltern. Dort konnten nun diese Menschen ihre Wäsche wechseln, sie hatten Decken, Lebensmittel. Von dem guten Gefühl, dass es noch Menschen gibt, die so spontan halfen, gar nicht zu reden. Vor Weihnachten konnte Stefan von dem gespendeten Geld ein wenig mit nach Kolontár nehmen. Für die Kinder wurde Schokolade gekauft, Elektrogeräte, z.B. Staubsauger, waren so wichtig, da ja die Behelfsunterkünfte ständig von diesem roten Schlammstaub gereinigt werden mußten. Ja, so wurde die erste Zeit überbrückt – mehr schlecht als recht.

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Dann kam die große Hilfsaktion – es wurde ein neues Siedlungsgebiet in Kolontár erschlossen, auf der gegenüberliegenden Seite des Hügels – sicher vor einer eventuellen Wiederholung der Katastrophe. Bald standen die 21 neuen Häuser, wurden schlüsselfertig übergeben, von Hilfsorganisationen gab es für jede Familie 12.000 Euro zum Ankauf von Einrichtungsgegenständen. Und bald kehrte der Alltag in den neuen Häusern ein, der Boden wurde gerodet, Erde planiert, um im kommenden Jahr vielleicht Rasen anzubauen oder Gemüse zu pflanzen.

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Und jetzt, nach über einem Jahr, konnte ich mit Stefan seiner Familie einen Besuch abstatten. Pista Fuchs und seine Gattin empfingen mich freundlich, bei einem Glas Wein wurden die ersten Konversationsversuche getätigt. Sie bedankten sich herzlichst für die Spenden aus Schattendorf, die damals als erste Spenden überhaupt nach Kolontár kamen. Nie, so meinten sie, würden sie diese Augenblicke vergessen, als Stefan mit den Unmengen an Hilfsgütern ankam. Gespendet von Leuten, die sie nie kennengelernt hatten, von denen sie gar nicht wußten, dass es sie gibt. Das gab damals Wärme, die von innen kam, und die ihnen half, diese schreckliche Zeit des Leids und der Trauer zu überwinden.

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Ja, und dann zeigte mir Pista alles, Stefan übersetzte, ich wurde immer bedrückter. Sie zeigten mir die Gedenkstätte, 9 Menschen in Kolontár starben. Ich sah die unendlich leere Fläche, auf der vor etwas mehr als einem Jahr über 30 Häuser, Gärten, Wirtschaftgebäude, standen. Ich sah die Reste eines großen Bauernhofes, die Rinder, die in einem provisorischen Gebäude untergebracht waren. Ich sah die Bagger, die noch immer die Erde abgruben, wegtransportiert von riesigen Lastkraftwagen. Ich sah noch immer an den Bäumen, an Strommasten die Höhe der Schlammlawine.

Und trotz allem, was hier passierte, geht heute das Leben wieder weiter. Aber die Menschen hier haben gelernt, alle Dinge nicht mehr als selbstverständlich anzusehen, sie haben gelernt, dass sie nicht automatisch hohen Lebensstandard einfordern können, es als Selbstverständlichkeit ansehen, dass das Leben immer nur Gutes bereithält. Die Katastrophe von 2010 war ihr Lehrmeister in diesen Dingen. Aber es hat ihnen auch etwas Gutes gezeigt: Das es Menschen gibt, die nicht gleichgültig gegenüber dem Leid und Schrecken geworden sind. Sondern die es als ihre Verpflichtung ansehen, hier zu helfen, schnell und unbürokratisch und selbstlos! Dafür sagt Familie Fuchs im Namen aller Menschen in Kolontár ihren heiß empfundenen Dank.

 

Euer rasender Reporter