kalchbrenner-karl-1886Naturwissenschaftler aus dem Ödenburger Land
Karl Kalchbrenner
Pilzforscher und Pflanzengeograf

„Volkshochschule" vor 200 Jahren

„Volkshochschule" vor 200 Jahren? In Agendorf gab es das – in einem Bauerndorf mit etwa 1500 Einwohnern. Im Winter 1813 errichtete Pfarrer Joseph Kalchbrenner für die Burschen und die jungen Männer seiner Gemeinde eine Abendschule, die weit mehr zu bieten hatte als religiöse Belehrung. Er las aus Schriften zur Aufklärung des Volkes vor und sprach über Probleme der Physik, der Naturkunde und der Ökonomie. Also ein recht anspruchsvolles Programm. Besonders wichtig aber war, dass die jungen Leute zum Lesen angehalten wurden. Eine Volksbibliothek wurde eingerichtet. Kalchbrenner muss für die Ideale der Aufklärung gebrannt haben, sonst hätte er wohl kaum gewagt, diese aus dem städtischen Milieu, aus dem Bereich des Bildungsbürgertums, in ein Bauerndorf zu übertragen. Er muss einen starken Glauben die Macht der Vernunft und der Bildung gehabt haben und ein sehr optimistisches Weltbild. Und er muss großes Vertrauen in die Bildungsfähigkeit der Menschen, auch der Menschen auf dem Dorf, gehabt haben.

 Der Geist von Jena

Kalchbrenners Bildungsweg erklärt diese Einstellung. Er war gebürtiger Ödenburger und besuchte das dortige Lyzeum, an dem unter hervorragenden Gelehrten auch bedeutende Naturforscher unterrichteten. Ödenburg und das Ödenburger Land waren ja nicht nur die Heimat zahlreicher berühmter Dichter und Sprachforscher, Musiker, Architekten, Juristen und Theologen. Hier wuchsen immer wieder auch bedeutende Naturwissenschaftler und Ärzte heran, die weit über die Stadt hinaus Bedeutung erlangten. Es sei etwa nur an Paul Kitaibel erinnert, der das Jesuitengymnasium besuchte. Anschließend studierte Joseph Kalchbrenner an der Universität Jena, damals das Zentrum der Geisteselite des deutschen Sprachraumes, der „Stapelstadt des Wissens“. Goethe und Schiller, Hegel, Fichte. Schelling, Novalis, Hölderlin, Arndt … wirkten in Jena. Die Anfänge dieser unglaublichen Verdichtung des Geisteslebens muss Kalchbrenner noch erlebt haben und vor allem die Anfänge der modernen Naturwissenschaften, auch wenn deren größte Blütezeit erst 1807, als Goethe die Oberaufsicht übertragen wurde, mit der Einrichtung von Bibliotheken, eines botanischen Gartens, von Laboratorien und einer Sternwarte einsetzte. Da war Kalchbrenner schon als Pfarrer in der Heimat tätig. Der Geist von Jena hat ihn aber offenkundig stark geprägt. Er war ein sehr vielseitig interessierter Mensch und rastlos tätig. Das hatte zur Folge, dass er eine ehrenhafte Berufung nach der anderen erhielt, unter anderen einen Ruf nach Ödenburg. Zu dieser Zeit war er Pfarrer von Pöttelsdorf, wo auch sein Sohn Karl geboren wurde. Er nahm den Ruf nach Agendorf – Wandorf - Loipersbach an, wo er bis Oktober 1819 blieb. Dann berief ihn die Gemeinde Pest als Pfarrer.

Naturerkundung und „Naturkunde“

In Agendorf verbrachte Karl Kalchbrenner seine Kindheit. Es ist kein Wunder, dass sein Vater schon früh sein Interesse an den Naturwissenschaften weckte. Vermutlich saß er schon als Kind in den Vorträgen seines Vaters und begleitete diesen auf seinen Wanderungen in der Umgebung. Das besondere Interesse an Algen und Flechten, Gräsern und Pilzen mag dabei entstanden sein. Nach der Volksschule besuchte Karl für kurze Zeit das Gymnasium in Raab/Györ, dann das evangelische Lyceum  in Ödenburg, das Piaristengymnasium in Pest und schließlich das Gymnasium in Schemnitz. Der Schulbesuch in Raab ist den Biographen Karl Kalchbrenners sonderbar erschienen. August Kanitz, Botanikprofessor an der Universität Klausenburg, der nach dem Tode Kalchbrenners 1886 einen Nachruf verfasst hat, liefert die logische Erklärung: Kalchbrenner wurde nach Raab geschickt, um dort Ungarisch zu lernen, wahrscheinlich um gut Ungarisch zu lernen. Noch 1968 regte das Zoltám Kárpáti, der in den Burgenländischen Heimatblättern einen Aufsatz über Kalchbrenner veröffentlichte, ziemlich auf. Er erklärte es für völlig unmöglich, dass Kalchbrenner nicht zweisprachig aufgewachsen sein sollte. Die Argumente, die er vorbringt, sind allerdings sehr gewunden und es scheint, als ob nicht Kanitz, sondern Kárpáti keine Ahnung von den Verhältnissen  im Ödenburger Land im frühen 19. Jahrhundert hatte. Natürlich hat sein Vater auch die ungarische Sprache beherrscht und auch Berufungen in ungarischsprachige Gemeinden erhalten, angenommen aber hat er nur solche in deutsche Gemeinden. Auch Pest war ja damals noch eine ganz überwiegend deutsche Stadt.  Vollkommen falsch ist die Behauptung Kárpátis, dass die Unterrichtssprache am Lyceum „immer das Ungarische“ war. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden an diesem berühmten, von der evangelischen deutschen Kirchengemeinde Ödenburg unterhaltenen Gymnasium einige Gegenstände in ungarischer Sprache unterrichtet. „An dieser ungarischen Schule … wirkte eine deutsche Sprachgesellschaft, um den Schülern zu ermöglichen, sich auch in der deutschen Sprache weiterzubilden und vervollkommnen zu können“ schreibt Kárpáti. Damit kehrt er die historische Wahrheit genau in ihr Gegenteil – die Schule war deutschsprachig, eine „Ungarische Gesellschaft“ sollte den vermehrt nach Ödenburg strebenden magyarischen Studenten die Vervollkommnung in ihrer Muttersprache ermöglichen. Die Lehrer waren natürlich zweisprachig und wie der berühmte Joseph Paul von Király teilweise auch ungarischer Abstammung, aber stark von der deutschen Kultur geprägt. Die Bevölkerung der Stadt Ödenburg aber war zu dieser Zeit und auch noch lange danach keineswegs – wie Kárpáty behauptet – zweisprachig. Es ist also durchaus verständlich und logisch, dass Karl Kalchbrenner von seinem Vater für einige Zeit nach Raab an das dortige Gymnasium  geschickt wurde. Interessant ist, dass Kalchbrenner in Pest das katholische Piaristengymnasium besuchte. Es gab im Hause des evangelischen Predigers offenbar keine konfessionellen Vorbehalte, wenn es um eine ausgezeichnete Bildung ging.

Wallersdorf in der Zips

Nach der Matura kehrte Karl Kalchbrenner nach Ödenburg zurück und studierte Theologie an der evangelischen Akademie. Sein Studium schloss er dann an der Universität Halle an der Saale ab. Seine erste Anstellung erhielt er als Kaplan an der Seite seines Vaters in Pest. Von dort wurde er als Pfarrer nach Wallersdorf in der Zips (Szepesolaszi, Spisské Vlachy) berufen, wo er sein weiteres Leben verbrachte. In und um diese Kleinstadt in der heutigen Slowakei entfaltete er sein Forscherleben und wurde schließlich zu einer internationalen Kapazität auf dem Gebiet der Pilzkunde (Mykologie). Er heiratete die Slowakin Mathilde Stavnicky, mit der er drei Kinder hatte.

Karl Kalchbrenner muss auch ein hervorragender Pfarrer gewesen sein, er machte eine beachtliche Karriere und wurde schließlich Obersuperintendent der sieben Zipser Städte.

Gräser, Algen, Pilze …

In seiner Freizeit durchstreifte Kalchbrenner die nähere und weitere Umgebung auf zahlreichen Wanderungen. Er entdeckte eine neue Seggenart und begann, seine Erkenntnisse zu publizieren. 1867 hielt er einen Vortrag in einer Sitzung der Gesellschaft der Ungarischen Ärzte und Naturforscher. 1868 folgte eine Bahn brechende Arbeit über die Pflanzengeographie des Zipser Erzgebirges, die in der Zeitschrift der Akademie der Wissenschaften erschien. Es folgten die Erforschung der Moose und Algen und schließlich der Pilze, denen in der Folgezeit sein Hauptinteresse galt. Als Mykologe wurde er schließlich weltweit bekannt. In seinem Hauptwerk über die Pilze der Zips zählt er 1334 Pilzarten auf. Diese Leistung trug ihm die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied, schließlich 1882 zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften ein. Er trat in Kontakt zu den führenden Mykologen  Europas, etwa zu Elias Fries in Schweden, zu Ludwig Heufler zu Hohenbühel und dem österreichischen Mykologen Felix Freiherr von Thümen, Lenormand und Roumeguère. Er arbeitete an der Revision von Pilzsammlungen aus aller Welt, etwa aus Sibirien, Südamerika und Australien. Seine Arbeiten erschienen nun in den wichtigsten Fachzeitschriften der Welt, etwa in der Grevillea oder in der Revue Mycologique.

Die „Icones selectae“

kalchbrenner-bildtafelDas Hauptwerk Kalchbrenners erschien in den Jahren 1873 – 1877 in vier Lieferungen als „Icones selectae Hymenomycetum Hungariae“. Faszinierend waren und sind an diesem Werk vor allem die 40 Farbtafeln. Sie sind das Werk von Stephan Schulzer von Müggenburg, der eine handschriftliche Arbeit über die Pilze Ungarns mit den herrlichen farbigen Abbildungen verfasste. Die Akademie der Wissenschaften kaufte dieses Manuskript an und übergab es Kalchbrenner zur kritischen Überarbeitung. Das Ergebnis war ein besonders schönes Buch, das Ruhm und Bekanntheit Kalchbrenners vermehrte.

Karl Kalchbrenner starb am 5. Juni 1886 in Wallersdorf. In Pöttelsdorf, Agendorf, Loipersbach, im gesamten Ödenburger Land, in dem der Grundstein zum Wirken dieses hervorragenden Naturwissenschaftlers gelegt wurde, sollte man sich seiner gelegentlich erinnern.

Literatur: Zoltán Kárpáti, Karl Kalchbrenner (1807 – 1886). In: Bgld. Heimatblätter 1968, Heft  1-2, S.57 - 65