Wir müssen Abschied nehmen von Hermine Rieß, geborene Lang.

lang hermine 1933 09 14 01Hermine wurde am 14. September 1933 in Agendorf geboren als jüngste Tochter des Ehepaares Andreas Lang und Elisabeth geborene Lang. Hermine hatte fünf ältere Geschwister. Zwei Schwestern und der Bruder verstarben schon als Kleinkinder, vor Hermines Geburt, so wuchs Hermine mit ihren zwei älteren Schwestern in Agendorf auf.

Die Eltern waren sehr gläubige Menschen und legten viel Wert auf die christlich evangelische Erziehung. Im Hause Lang wurde gebetet, aus der Bibel gelesen und der Besuch des Gottesdienstes war eine Selbstverständlichkeit. Der Glaube und die daraus resultierende Kraft und Zuversicht zogen sich durch das Leben von Hermine.

Hermine und Ihre älteren Schwestern Elisabeth und Theresia wuchsen sehr behütet auf und verlebten eine schöne Kindheit im Elternhaus in Agendorf, in der Hauptstraße 60. Die Vertreibung der Deutschen aus Agendorf im Jahr 1946 hat vermutlich die Kindheit von Hermine jäh beendet – von heute auf morgen musste sie mit ihren Eltern und den beiden großen Schwestern die Heimat verlassen. Mit 30 anderen Personen, eingepfercht in einen Waggon ohne Fenster, ohne zu wissen wohin die Reise geht – so wurde sie im April 1946 aus allem was sie kannte und war ihr lieb und teuer war, herausgerissen. Hermine war gerade mal 13 Jahre alt.

Agendorf, Hauptstrasse 60, hier lebte Hermine bis zur Vertreibun 1946.Nach einigen Tagen Fahrt kam der Transport mit den Flüchtlingen in Wasseralfingen in Deutschland an. Aus Erzählungen wissen wir, dass Hermine von dieser Zeit vor allem die „Entlausung“ in Erinnerung geblieben ist – ein weißes Pulver wurde auf die Ankömmlinge verteilt, was für das Mädchen sicher sehr furchterregend war. Danach wurden Hermine, Ihre Schwestern und die Eltern in einer Baracke untergebracht, in der vorher Kriegsgefangene gewohnt hatten.

Nun stand also die Familie Lang da mit nichts als dem, was in einen Koffer gepasst hat. Das Haus, die Möbel, die Tiere und auch die Lieben auf dem Friedhof - alles haben sie zurücklassen müssen. Die Zeiten waren schlecht, Deutschland war zerbombt und zerstört, die Lebensmittel waren knapp, Wohnraum auch – und niemand in Deutschland hat sich über zusätzliche hungrige Flüchtlinge gefreut. Alles war neu und fremd – auch der Dialekt der in Deutschland gesprochen wurde, war anfangs schwer zu verstehen. Die Eltern fanden Arbeit auf einem Bauernhof, Hermine musste nachmittags – nach der Schule – bei der Arbeit auf dem Hof helfen und die Kühe hüten. Es war oft nicht genug zu essen da. Das muss eine schwere Zeit für die Familie gewesen sein, die sie mit ihrem immer starken Glauben aber alle gemeinsam durchgestanden haben.

Hermine bekam später dann die Chance, eine Ausbildung zur Floristin zu machen. Blumen und Kräuter hat sie schon immer geliebt und in diesem Beruf war sie dann auch sehr glücklich. Eines Tages, als sie auf dem Weg zur Arbeit war, hat sie einen jungen Mann kennengelernt, der ebenfalls eine Ausbildung – allerdings zum Friseur – machte. Dieser junge Mann, Josef, war die Liebe ihres Lebens.

1961 zog Hermine um nach Lauffen am Neckar, dort lebte bereits seit einiger Zeit ihre ältere Schwester Elisabeth mit den Eltern. Im Heimatort ihres zukünftigen Mannes, in Utzmemmingen, hat sie dann ihren Josef geheiratet und wurde Mutter von drei Söhnen. Das Ehepaar hat eisern gespart, Ziel war es, ein eigenes Haus zu haben. Dieser Herzenswunsch ging 1970 in Erfüllung: Josef und Hermine konnten ein Siedlerhaus mit eigenem Garten kaufen. Dafür mussten sie sich zwar hoch verschulden, doch mit großem Fleiß und der ihnen eigenen Sparsamkeit konnten sie auch diese Hürde meistern. So wurde das Leben langsam wieder besser, der neue Wohnort wurde zur zweiten Heimat – jedoch hat auch Hermine nie ganz ihren Geburtsort Agendorf vergessen.

Im Jahr 1998 verstarb Josef Rieß und fortan lebte Hermine alleine. Die Söhne waren schon alle außer Haus, unterstützten die Mutter jedoch tatkräftig, auch Schwiegertöchter und Enkel kamen dazu, so dass Hermine nie lange alleine war.

In Lauffen am Neckar hatte sie eine zweite Heimat gefunden und sich dort sehr gut eingelebt. Sie war aktives Mitglied der Kirchengemeinde, war bei den Landfrauen, im Kneipp- und Musikverein und hatte eine Menge Freunde und Bekannte.

Im September 2017 zog sie um in ein Pflegeheim, wo es ihr auch recht gut gefiel. Die Familie machte mit ihr zahlreiche Kurz- und Tagesausflüge, was ihr viel Freude gemacht hat. Besonders glücklich war sie immer dann, wenn die Familie um sie herum war: bei Familienfeiern, Geburtstagen und an Weihnachten sah man sie strahlen. Bis zu ihrem Lebensende war es ihr wichtig, die Gottesdienste zu besuchen – den letzten am dritten Advent 2020.

Ende Dezember brach im Pflegeheim dann der Coronavirus aus und auch Hermine wurde infiziert. Ihre Kraft hat nicht ausgereicht, die Krankheit zu besiegen, so durfte sie am 3. Februar 2021, im Altern von 87 Jahren, friedlich einschlafen.

Zum Zeichen der Verbundenheit mit ihrem ehemaligen Gemeindemitglied werden zum Zeitpunkt der Beerdigung in Agendorf die Glocken der evangelischen Kirche, der Kirche in der Hermine getauft wurde und so viele Gottesdienste erlebt hat, geläutet und ihrer gedacht.