a) Meine Beauftragung
Die Kirchenleitung benutzte die Pensionierung Edmund Scholtz` zur Vollziehung der Verselbständigung Wandorfs. Die Generalversammlungen von Diözese und Seniorat sprachen sich schon 1938 für die Notwendigkeit der Verselbständigung Wandorfs aus. Senior Ludwig Ziermann kam am 1. November 1938 in die Gemeinde, damit er sich über die allgemeine Stimmung orientieren konnte. Er empfahl der Gemeinde die Verselbständigung damit, daß der am Ort wohnende Pfarrer den einzelnen Gemeindegliedern in allem ein Ratgeber und Betreuer sein werde und daß die Verselbständigung die Gemeinde nicht weiter finanziell belasten würde, im Gegenteil, denn der Fuhrlohn für den Pfarrer fiele ja in Zukunft weg. Die Stimmung der Anwesenden war zurückhaltend. Viele waren wegen der eventuellen Lasten besorgt. Der Herr Bischof versetzte mich mit Wirkung vom 1. Januar 1939 nach Wandorf und beauftragte mich mit der selbständigen Leitung der Gemeinde als Prediger, Seelsorger und Kirchengemeinde-Verwalter. Ich erhielt somit in Wandorf einen selbständigen Wirkungskreis. Nach Agendorf kam gleichzeitig Paul Beyer als Pfarrstellvertreter. Ich war von ihm unabhängig, nur die Angaben für die Matrikel mußte ich bis zur Verselbständigung melden.

b) meine ersten Schritte in Wandorf
Am Neujahrstag 1939 hielt ich meinen ersten Gottesdienst in der Gemeinde. Es waren wenige anwesend, denn viele wußten nichts davon. Bald darauf aber verbreitete sich die Nachricht daß Wandorf einen eigenen Pfarrer habe und bei meiner Einführung als stellvertretender Pfarrer am Dreikönigstag kamen schon viele. Dann besuchte ich der Reihe nach die Leiter der Gemeinde, ihre Presbyter und die evangelischen Lehrer. Besonders unter den letzteren fand ich treue Helfer. Unter meinen ersten Schritten war meine Wohnungssuche von großer Bedeutung. Es war schwer, eine entsprechende Wohnung zu finden. Die im Zentrum wohnenden Bessergestellten hätten mir leicht ein Zimmer vermieten können, doch gerade sie hatten eine Aversion gegen die Verselbständigung der Gemeinde und vielerlei Gründe gegen meine Beherbergung. Schließlich fand ich im Keller des Neubaus des Eisengießerarbeiters Ludwig Fekete, Berggasse Nr. 56, ein Zimmer-Kücher-Appartement, gegen geringe Miete. Dies war ein besonderes Ereignis. Schließlich wohnte der Pfarrer am Ort und ausgerechnet bei den Arbeitern und Armen fand er Aufnahme. Seither betrachtete die arme Arbeitserschicht ihn als einer der ihren, während sich die bedeutend kleinere, wohlhabendere Bauernschicht auf lange Zeit vom krichlichen Leben zurückzog. Aus diesem Grund wurde eine teilweise Auswechslung des Presbyteriums notwendig. Unter meinem Vorgänger hatten im Presbyterium die wohlhabenden Bauern das Sagen. Nach meinem Amtsantritt bleiben gerade sie von den Sitzungen weg, und ich konnte sie auf keine Weise für mich gewinnen. Der allgemeine Amtswechsel kam sehr gelegen, um das Presbyterium hauptsächlich mit Facharbeitern zu ergänzen. Seither hatten wir ein Presbyterium, das bei entscheidenden Kirchenfragen nach gründlicher Erwägung gewillt war, jedes Wagnis zu übernehmen. (Die hiesigen Bauern kennzeichnet auch in den kirchlichen Angelegenheiten ein berechnendes Verhalten, während die Arbeiter geneigt sind, nach Erkennung der Wahrheit, jedes Wagnis einzugehen). Aus ähnlichem Grunde war auch der Kurator ausgewechselt worden. Ferdinand Kranixfeld war 15 Jahre hindurch Kurator der Gemeinde. Er stammte aus einer alten Wandorfer Familie und war ein wohlhabender Bauer. In ihm wohnte der für seine Klasse charakteristische Hochmut und das materielle Denken. Er war ein hingebungsvoller Anhänger meines Vorgängers. Seinen kirchlichen Dienst versah er getreulich, obwohl nicht so sehr, wie das die einschlägigen Protokollbücher behaupten. ER war mir von Anfang an mit Abneigung begegnet, und als er für das auf sein Vermögen eingetragene Gemeindedarlehen die Löschungsgenehmigung verlange, die weder ich noch das Presbyterium genehmigen konnte, zog er sich beleidigt zurück, legte sein Amt nieder und überschritt von da an nie mehr die Kirchenschwelle. An seiner statt wählte man auf Vorschlag des Presbyteriums den Schloßermeister Karl Teicher zum Kurator. Ein unerhörtes Ereignis in der Gemeinde, daß nicht ein angestammter Bauer Kurator wurde. Die Buch- und Rechnungsführung mußte ich selber erledigen weil er dazu nicht in der Lage war. Alle sonstigen Arbeiten hingegen verrichtete er, vor allem anfangs, mit großem Eifer. Die eigentliche Bedeutung seiner Betätigung war, daß die Alleinherrschaft der Bauern in der Verwaltung der Gemeinde gebrochen wurde. Mein Amtsantritt hatte natürlich nicht nur solche Veränderungen in der Gemeinde herbeigeführt. Gleich in den ersten Wochen manifestierte sich das kirchliche Leben. Von Anfang an hielt ich am Sonntag vormittag und nachmittag einen deutschsprachigen Gottesdienst, auch nachmittags mit Wortverkündigung. Am 16. Januar führten wir die täglichen Morgenandachten mit Worterklärung ein. Vom 5. Februar an hielten wir Sonntagnachmittag um 3 Uhr einen extra Kindergottesdienst nach der Liturgie der Dresdener Kinderharfe. Am 4. März begannen wir die allwöchentlichen Gemeindegesangsstunden. Am 12. Februar hielten wir den ersten Religionsabend mit vielfältigem Programm ab, der die Gemeindeglieder in sehr großer Zahl anlockte. Das Interesse für das Anliegen der Kirche war erwacht. Jeden Sonntag besuchten im Durchschnitt 500 Menschen die Gottesdienste und außerdem waren die Angelegenheiten der Kirche Tagesgespräch in der Gemeinde. Von mir verbreitete das Gerücht zwei Nachrichten: "Er politisiert nicht" und "er macht keinen Unterschied zwischen den Menschen", beides war ein Lob für mich und zugleich eine Kritik an meinem Vorgänger. Ich war populär geworden. Obwohl ich es nicht suchte, ich hatte sogar Angst davor.

c) Die Vorbereitung zur Verselbständigung
Von Anfang an benutzte ich jede Gelegenheit dazu, den Gedanken der Verselbständigung der Gemeinde unter die Bevölkerung zu bringen. Nach den Gottesdiensten hielt ich wiederholt die Gemeinde zurück, informierte sie und versuchte, die öffentliche Meinung zu steuern. Dazu benutze ich auch die Gemeindegesangsstunden und die Privatbesuche. Im Endergebnis diente jede Arbeit der Vorbereitung unserer Verselbständigung, zumal der Aufschwung der Gemeinde aufs beste bezeugte, daß es notwendig und gut war, wenn die Gemeinde einen eigenen Pfarrer besaß. Die Kirchgänger bekämpften sich dauernd mit den Gegnern der Verselbständigung. Ich mußte in erste Linie mit dem Presbyterium einen Strauß ausfechten, denn von seiner Stellungnahme hing ja alles ab. Ich mußte drei Schwierigkeiten bestehen. Die erste war, daß die Kirchenleitung die Gemeinde mit der Taktik beruhigte, daß im Falle der Verselbständigung keine zusätzlichen Lasten auf die Gemeinde zukommen. Die Gemeinde glaubte dies freilich nicht, und die angestellten Berechnungen bescheinigten dies auch. Ich wählte anstatt der Taktik den geraden Weg: ich zeichnete dem Presbyterium von der finanziellen Seite her ein wahrheitsgetreues Bild, indem ich die bisherigen und voraussichtlichen Kosten auf die Tafel schrieb. Meine Lage erleichterte dies nicht. Es gab viele, die eine Verselbständigung nicht wollten wenn sie mit einer finanziellen Belastung verbunden war. Unser Bischof löste diese Frage dann so, indem er vom Kultusminister eine jährliche außerordentliche Staatsbeihilfe in Höhe von 1.000 Pengö beschaffte. Eine finanzielle Belastung der Gemeinde war damals unmöglich. Die zweite Schwierigkeit war, daß man unter die Leute brachte, das versteckte Ziel der Verselbständigung sei die Magyarisierung der Gemeinde. Dieser Verdacht wurde noch dadurch unterstützt, daß wir die Verselbständigung im Deutschen auch "Maternisierung" nannten, worunter viele dann "Magyarisierung" verstanden. Vorerst verteidigte ich mich damit, daß ich auf den Irrtum hinwies und auf die allgemeine bekannte Tatsache, daß ich mit jedermann in seiner Muttersprache verkehrte. Ansonsten gab ich keinen Grund zum Mißverständnis; es kann aber sein, daß die Gesinnung unserer Kirchenleitung auf irgendeinem Wege zu Ohren des Volkes kam, daß man in deutsche Gemeinden vom Standpunkt des Ungartums nur zuverlässige Geistliche anstellte, die keine Fürsprecher des Pangermanismus sein konnten. In der vom Standpunkt der Nationalität gespannten Atmosphäre war das schon genug, daß die Hetzer von einer Magyarisierung sprechen konnten. Die dritte Schwierigkeit ergab sich aus der zum Springen gespannten weltpolitischen Lage. In den deutschen Dörfern munkelte man seit Wochen, wann Hitler bei uns einmarschieren werde. In dieser Atmosphäre wollten sogar diejenigen die Verselbständigung verzögern, die ansonsten nicht dagegen waren. Ich versuchte damit zu argumentieren, daß die Gemeinde in solch kritischer Lage zweifach einen eigenen Geistlichen benötigte.

d) Der Verselbständigungs-Beschluß
Das Presbyterium faßte am 3.3.1939 nach einer ausführlichen Beratung zugunsten der Verselbständigung einen einheitlichen Beschluß. Es war klar, daß diese Frage noch bei weitem nicht in der Gemeinde ausgereift war. Nur eine Minderheit war für die Verselbständigung. Aber es war auch offensichtlich, daß man die Mehrheit der Gemeinde nur mit einer Jahre hindurch dauernden Einzelbearbeitung gewinnen konnte, denn sie war den Gemeindeveranstaltungen immer fern geblieben. Mit dem Verselbständigungsbeschluß konnte man aber nicht länger warten weil die Regierung wohl die Kongrua versprach, aber nur für den Fall, daß die Gemeinde schnellstens die Verselbständigung aussprach. Nach solcher Vorbereitung berief ich für den 2.4.1939, Palmsonntag nachmittags um 3 Uhr die Hauptversammlung der Kirchengemeinde ein. Ich organisierte nicht die Befürworter der Verselbständigung, denn ich wollte nicht, daß sich die ohnehin bestehenden noch verschärften. Die Gegenpartei brachte nur im letzen Moment ihre Leute zusammen. Es erschienen 60 Männer und 160 Frauen, eine ungewohnt große Zahl. Der Betsaal war voll. In Anwesenheit des Seniorvorstandes eröffnete ich die Sitzung. Nach einem einstündigen Vortrag stellte ich die Fragen der Verselbständigung dar. Ich wies darauf hin, daß die Verselbständigung drei Dinge voraussetzte: 1. Daß die Gemeinde deren Notwendigkeit einsieht, 2. Daß die finanziellen Voraussetzungen vorhanden seien, 3. Daß uns die bisherige Muttergemeinde entläßt. Ich legte freimütig und der Wirklichkeit entsprechend die tatsächliche Lage der drei Voraussetzungen dar und zog die Schlußfolgerung, daß die Zeit der Verselbständigung nun da sei. Die Anwesenden hörten mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Ich bat um einen Diskussionsbeitrag. Nur die Opposition meldete sich zu Wort. Hauptsächlich der neu gewählte Ortsrichter räsonierte. Er betonte, daß die Zeit jetzt ungünstig sei für die Verselbständigung und es schade wäre, das seit Jahrhunderten gewachsene gute Verhältnis zu Agendorf zu unterbrechen. Eine Verselbständigung wäre nur dann am Platze, wenn Kirche und Pfarrhaus vorhanden wären. Ich versuchte, sachlich zu antworte. Senior Ludwig Ziermann hingegen gefühlsbetont. Er wies darauf hin, daß jetzt die günstigste Gelegenheit zur Verselbständigung da sein, denn für diesen Zweck garantierte man Wandorf unerhört viele Beihilfen und man schickte ihr auch die beste Arbeitskraft. Der stürmische Applaus der Anwesenden war darauf die Antwort, der mich erschauerte, denn ich fühlte, daß er nicht aus dem Herzen kam. Nach Abschluß der Diskussion stellte ich die Frage zur Abstimmung. Die erfolgte durch Aufstehen und Gegenprobe. Die Befürworter standen zerstreut im Saal auf, die Gegner in einer Masse. Es sah aus, als wenn sie die Mehrheit hätten. Das Ergebnis der wiederholten Abstimmung: 33 gegen 24 Stimmen für die Verselbständigung. Die Gegner entfernten sich vor der Verkündigung des Ergebnisses. Die weiteren Beschlüsse: Feststellung des Pfarrergehaltes, das Gehalt des Kantors, Pfarrhausbau u.a. wurden schon einstimmig gefaßt.

e) Die Pfarrerwahl
Der Verselbständigungsbeschluß wurde binnen kurzer Zeit vom Seniorrat wie der Diözese gebilligt, und so konnte die Gemeinde gegen Ende April die Pfarrerwahl ausschreiben. Gemäß des Pfarrergehaltsnachweises (dijlevél) betrug die örtliche Dotation: Nutznießung der Pfarrerwohnung, bzw. bis zu deren Bau das entsprechende Wohngeld, das jährliche Bargeld in Höhe von 1.080 Pengö und die Stolen. Dies alles war die eine Hälfte des gesetzlichen Pfarrergehlates, die andere Hälfte war die Kongrua. Die persönliche Frage verursachte keine besondere Schwierigkeit. Einige Familien wollten gerne ihren Pfarrer-Verwandten aus dem Burgenland herbeiholen, aber das war nur ein stiller Wunsch und kam in der Gemeinde nicht in Frage. Die Pfarrerwahl erfolgte einstimmig. Die Einführung ereignete sich am Kirchweihtag, am 10.10.1939. An einem klaren Herbsttag versammelten sich auf dem Schulhof, unter freiem Himmel, die Wandorfer und benachbarten Gemeindeglieder und füllten den ganzen Hof aus. Die Äußerlichkeiten waren ziemlich einfach. Vor einem Altar aus Laub und Tannengrün saßen die Gäste auf Stühlen, während die Einheimischen meistens standen. Mein Predigttext war: 2. Korintherbrief 4,5: "Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesus Willen". Als meine Person in den Mittelpunkt des Gemeindeinteresses geriete, fühlte ich, daß ich jede Aufmerksamkeit auf Jesus Christus lenken mußte. Von mir nur so viel, daß ich jedem dienen möchte; nicht dienen, indem ich nach seinem Munde rede, sondern dadurch, da ich ihn zu Jesus führe. Das war der Hauptgedanke meiner Ansprache. Die eifrigen Kirchgänger hatten eine große Freude daß Wandorf endlich einmal einen eigenen Pfarrer besaß. Einen großen Eindruck machte die Feier auch auf die der Kirche nicht Nahestehenden. Es freute mich, daß so viele Fremde mir zuliebe zum Fest kamen. Auf die Vorbereitungen zum Fest fielen leider die Schatten zweier Gefahren, deren Bedeutung sich erst später in unserer Gemeinde zeigte: einesteils der Schrecken des Krieges, das heißt, damals überrannte Hitler Polen, andererseits das übertriebene Nationalbewußtsein. Man nahm mir übel, daß ich neben den in den Volksbundtracht gekleideten Mädchen nach den Aufmarsch der in ungarischer Tracht Gekleideten erlaubt.

f) Meine Personalien
Vielleicht wäre hier der Platz dafür, einige Angabe über meine Personalien zu machen. Ich wurde am 22.2.1911 in Ödenburg (Sopron) geboren. Ebena absolvierte ich meine Schulen. 1929 maturierte ich im ev. Lyzeum, 1933 legte ich in der Ev. Fakultät das Rigorosum ab, dann ging ich für zwei Jahre ins Ausland wo ich in Tübingen hauptsächlich bei Karl Heim und Gerhard Kittel, in Königsberg bei Professor Julius Schniewind wissenschaftliche Arbeiten auf neutestamtentlichem Gebiet und der systematischen Theologie absolvierte. Heimgekehrt wurde ich am 29.9.1935 in Ödenburg zum Geistlichen ordiniert und kam nach Kéty, Komitat Tolnau, zum Obersenior Stefan Gyalogh als Hilfspfarrer. 1937 war ich sieben Monate in ödenburg bei Ludwig Ziermann Gemeindekaplan. Dann ging ich fr ein weiteres Jahr nach Deutschland und setzte in Halle bei den professoren Julius Schniewind und Karl Schumann, in Erlangen bei Paul Althaus und Werner Ehlert meine Studien fort. Von Mitte November 1938 an vertrat ich sechs Wochen lang in Sankt Gotthard den erkrankten Pfarrer Josef Nyirö. Vor dort schickte mich Bischof Kapi zum 1.1.1939 nach Wandorf.

g) Inspektorenwahl (Felügyelö-választás)
Vor der Verselbständigung hatte Wandorf mit Agendorf zusammen einen gemeinsamen Inspektor. Unsere Protokollbücher erwähnen die Namen Koloman Rupprecht (1889), Emmerich Hgyeshalmi-Fischer (1895), Luewig Stark (1906), Karl Hackstock (1922-1936) und Georg Breuer (1936-1939), die alle fleißig die Hauptversammlungen besuchten, aber es ist nicht feststellbar, in wieweit sie bei der Lenkung der Gemeinde mitwirkten. Persönlich kannte ich nur den letzteen. Außer ihm wir nur mehr Karl Hackstock erwähnt, der sich viel um die Gemeindeglieder kümmerte. Georg Breuer, Direktor der Brennberger Kohlengrube, ein stiller, bescheidener Mensch, der sich bei den Hauptversammlungen die Probleme ruhig anhörte, war verständnisvoll wo es ging und half, überließ aber die aktive Leitung mir. Als Wandorf selbständig wurde sah er ein, daß er nicht in zwei Gemeinden Kircheninspektor sein können und legte nach der Einführung des Wandorfer Pfarrers sein Amt nieder. An seiner Stelle wählte die Gemeinde einstimmig den pensionierten Postinspektor Egon Rácz. Seine Einführung war am 3.12.1939. Damit war der letzte Akt der Verselbständigung getan. Egon Rácz stammte aus Mörbisch am See, war religiöser Gesinnung, für jeden kirchlichen Dienst zu haben, opferbereit, der Kirche treu ergeben und als weltlicher Mensch konnte er sich keinen größeren Dienst vorstellen als den eines Kircheninspektors. Er beherrschte gut die Sprache des Volkes, und man gewann ihn schnell lieb. Einige Monate nach seiner Wahl erlitt er einen Herzinfarkt und konnte deshalb nicht mehr am Leben der Gemeinde teilnehmen. Ich besuchte ihn oft. Jedes kleine Ereignis aus dem Gemeindeleben interessierte ihn. Während unserer Gespräche reiften manche Pläne aus. Solche Gespräche waren für mein eine Erholung, für ihn aber ein Fest. Nach seinem Geständnis gedachte er täglich seiner Wandorfer Gemeinde im Gebet. Am 27.11.1943 verstarb er allein gelassen am Herzkrampf. Nur sein treuer Hund hielt neben ihm die Wache. Im Familiengrab zu Mörbisch bettete man ihn neben seiner Frau zur letzten Ruhe. Wegen der Grenzsperre konnten wir ihn auf seiner letzten Fahrt nicht begleiten.

h) Die Nachwirkungen der Verselbständigung
Die schnell durchgeführte Verselbständigung hinterließ schwere Spuren in der Gemeinde. Seit Jahrzehnten war von der Verselbständigung die Rede, aber die Verhältnisse waren noch nicht reif. Deswegen wurde die Gemeinde gespalten und die Fronten waren so erstarrt, daß sich nahezu ein Jahrzehnt hindurch kein harmonisches Gemeinde leben entwickeln konnte. Durch eine gründlichere Vorbereitung mit einer 1-2 Jahre währenden geistlichen Arbeit hätte man all dies vermeiden können. Aber unter den gegebenen Umständen hätte man die Verselbständigung auch nicht verzögern können weil sie sonst überhaupt nicht oder viel später stattgefunden hätte. Es war ein Schandfleck für unsere Kirche daß die im Seniorrat fünftgrößte Gemeinde keinen eigenen Pfarrer hatte. Hauptsächlich darum war die Verselbständigung der Gemeinde notwendig, weil sie krank war. Das offensichtliche Zeichen ihrer Krankheit war, daß die Gemeinde in ihrer Gesamtheit die Notwendigkeit einer Verselbständigung nicht einsah und daß das Schicksal einer Gemeinde von 2.500 Seelen von der Mehrheit einer Hauptversammlung. Von dem Will 34 Menschen abhing. Die Verselbständigung war mit einer schwere Operation vergleichbar, die die Gemeinde vorläufig in einer noch schwerere Krisis stürzte, doch danach immerhin zu einer langsamen Genesung führte.

Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem Ungarischen von Matthias Ziegler