a) Der Erste Weltkrieg
Wir haben kaum Angaben darüber, wie der Erste Weltkrieg das Leben der Gemeinde beeinflußte. Anfangs war es die Erregung des Krieges, dann die Nachrichten über die Kriegsverluste, später die Sorgen über die steigende Teuerung, die die Menschen beschäftigte. Die aus kirchlicher Hinsicht gefährlichen Lehrer verschwanden. Ein Großteil der Männer – natürlich auch die Freidenker – waren auf den Kriegsschauplätzen. So verstummten die antikirchlichen Töne. Edmund Scholtz konnte nur selten nach Wandorf kommen. Das Schulgebäude wurde 1913 erweitert und die Gemeinde bezahlte geduldig die Amortisation und trug die immer größer werdenden Kosten der Schulheizung. 1916 nahm man der Gemeinde für Kriegszwecke die große und kleine Glocke: Viele beweinten sie! Wegen der Teuerung mußte man sich oft in den Versammlungen mit den Gehältern beschäftigen, aber es erschienen oft nur 1 – 2 Menschen. Auf die ständig verschickten Bittgesuche trafen immer wieder aus- und inländische Spenden zugunsten unseres Verselbständigungs-Fonds ein.

b) Der Verselbständigungs-Beschluß
Unter solchen Umständen bereitete sich 1917 unsere Kirche auf die 400. Jahresfeier der Reformation vor. Auch in dieser schweren Zeit wollte unsere Kirche das Gedenkfest der Reformation würdig begehen. Schon 1908 sollte die Gemeinde erklären, welche Pläne sie bis zu diesem Fest verwirklichen wollte. Die Hauptversammlung steckte sich den Kirchenbau und die Verselbständigung der Gemeinde zum Ziel. Wir sehen, der Pfarrer arbeitete in diese Richtung, doch die Gemeinde war noch immer nicht dazu bereit. Jetzt drängte sogar das Seniorat (egyházkerület) auf die Verselbständigung der Gemeinde und setzte ihr von der Radó-Lajos-Stiftung eine jährliche Beihilfe in Höhe von 700 Kronen aus. Schließlich sprach sich am 25. März 1917 die Hauptversammlung für die Verselbständigung der Gemeinde aus, aber nur für den Fall, daß für die Hälfte der Pfarrerbesoldung eine Staatssubvention gewährt würde und sie tatsächlich die Beihilfe vom Radó-Lajos-Fonds erhielte, damit die Gemeinde nicht noch größere Lasten zu tragen habe.

Im Dezember erschien der nach Wandorf versetzte Kaplan Johann Grössing.

In der Gemeinde wurde er begeistert empfangen, besonders von den Frauen und Mädchen. Als Wohnung stellte man ihm das Konferenz-Zimmer der Schule zur Verfügung. Sonntags hielt er Gottesdienst, nachmittags Kindergottesdienst. Er verrichtete sämtliche kirchliche Funktionen und man brauchte nicht mehr nach Agendorf zu gehen. Auf der Hauptversammlung vom 1. April 1918, an der 33 Männer und viele Frauen anwesend waren, wurde dem Kaplan folgende Besoldung zugesprochen: 700 Kronen Wohngeld, 600 Kronen Bargeld jährlich, Stola, für die Heizung der Schreibstube 2 Klafter Holz und 1/3 der sonntäglichen Kollekte. Man verlangte nun die Entlassung aus der Muttergemeinde Agendorf und vereinbarte, daß bis zur Durchführung des Beschlusses Edmund Scholtz von der Gemeinde sein bisheriges Gehalt und die Stolen erhält, dann aber darauf verzichtet. Als Entschädigung erhält er dann von den Zinsen aus dem Lutherischen Gottteskasten jährlich 442 Kronen.

c) Das Ende des Versuches
Im Protokollbuch der Hauptversammlung vom 9. Juni 1918 ist zu lesen, daß wegen des Verselbständigungsbeschlusses in der Gemeinde ein Streit entstand und die Hauptversammlung deswegen, dem Rat des Bischofs folgend, die Durchführung des Beschlusses auf bessere Zeiten zurückstellte.

Edmund Scholtz teilte mir mündlich mit und machte für das Scheitern des Beschlusses die Gemeinde verantwortlich. Nach der Schilderung einiger wissender Gemeindemitglieder führte aber das die Zwietracht herbei, weil Edmund Scholtz auch während der Amtszeit Kaplan Grössings in Wandorf das Pfarrergehalt und die Stolen für sich beanspruchte. In der Gemeinde kam die Losung auf: "Wir können nicht zwei Pfarrer bezahlen!".

Zweifellos, daß die gefaßten Beschlüsse den Vorteil des Agendorfer Pfarrers zum Ausdruck brachten. Johann Grössing verließ im August 1918 die Gemeinde (ist heute Pfarrer in Mörbisch am See), und damit fand der Versuch einer Verselbständigung ein trauriges Ende.

Die Konsequenz dieses Vorfalles war, daß die kleine Gruppe der Kirchentreuen jetzt gegenüber jeglicher neuer kirchlichen Initiative zaghaft wurde.

Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem Ungarischen von Matthias Ziegler