Die "Marktflecken" (die Bezeichnung kommt schon bei Luther vor!) bildeten juristisch einen Übergang zwischen Dorf ("villa") und Stadt ("civitas"). Ihre geschichtliche Entwicklung können wir in Ungarn (nach Dr. Horvath) in drei Abschnitte einteilen.


Im 14. und 15. Jahrhundert entstehen die ersten Marktflecken. Bezeichnend für sie ist die gesteigerte Warenerzeugung, die handwerkliche Entwicklung und meistens bessere Bedingungen gegenüber dem Grundherren. Nach dem Bauernaufstand (in Ungarn 1514) wurde diese Entwicklung eingestellt. Im 16. und 17. Jahrhundert sind während der Türkenzeit viele Dörfer und Marktflecken verschwunden, aber nach der Vertreibung der Türken nahmen die Bewohner am Handel mit dem Westen besonders aktiv teil und erlebten dadurch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Im 18. Jahrhundert erklärte man allein im Komitat Ödenburg acht Gemeinden zu Marktflecken, so z. B. Egyed, Ivan, Großzinkendorf, und gegen Ende des 17. Jahrhunderts Harkau. Diese Gemeinden hoben sich von den anderen nicht dadurch heraus, daß sie mehr Ware erzeugten oder über nennenswertes Handwerk verfügt hätten, aber sie lagen an wichtigen Handelswegen. Darum baten oft die Grundherren selbst den König darum, daß die Gemeinde Marktrecht erhalten sollte. Verständlich ist das schon, denn durch Abhalten eines Marktes in Harkau z. B. erhielt ja die Stadt Ödenburg als Grundherr größere Einkünfte. Sie konnte ihre Gastwirtschaft und Fleischbank im Dorf besser, teurer verpachten, nahm "Standgeld" beim Markt ein usw. Zu dieser Zeit bedeutete "Marktflecken" ein Dorf, das Märkte abhalten durfte. Andere Vorteile sprangen für die Bewohner des "Marktfleckens" kaum heraus. Die Untertanen mußten weiterhin ihre Abgaben und "Robath" leisten, wie die anderen Stadtdörfer auch. - Eine Urkunde, laut welcher Harkau ein "Marktflecken" wurde, stammt aus dem Jahre 1674, also kaum ein Jahr nach der Enteignung der evang. Kirche. (Vielleicht wurde sie gerade da herausgegeben, um die "starrköpfigen Lutheraner" zu besänftigen!?) Laut dieser Urkunde, hatten die Harkauer schon das Recht, einen Markt abzuhalten, nämlich an "Peter und Paul" am 29. Juni, aber nun erhielten sie vom Kaiser/König das Recht, einen zweiten Markt, an Bartholomäus (23. August), abzuhalten. Nach mehreren Aufzeichnungen, Hinweisen sei das ein "Viehmarkt" gewesen.

In der Urkunde ist darüber nichts vermerkt. (Auch diese Urkunde hat mir Martina Weber, Mannheirn, die Tochter von Helene-Loli-Thumberger ins Deutsche übersetzt. Herzlichen Dank dafür!) Die Urkunde lautet:

Wir: Leopold, von Gottes Gnaden Römischer Kaiser; König von der Lombardei, Ungarn. Böhmen, Dalmatien, Kroatien und Slavonien, Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, Brabant, Steyer; Kärnten, Carniola, Markgrafvon Mähren, Herzog von Luxemburg, Ober- und Niederschlesien, Württemberg, Grafvon der Teck, Fürst von Schwaben, Grafvon Habsburg, Tirol, Kyburg, Görtz usw. - Wir vertrauen in Zustimmung der Anwesenden dem Gedächtnis an, indem wir bekanntgeben, was für alle nützlich ist . Aus den Versicherungen unserer Pfleger, Richter; Geschworenen und aller übrigen Bewohner unserer Besitzung Harkau, die nahe unserer freien und königlichen Stadt Ödenburg liegt, und des nahegelegenen Ortes Cutta (?) und aus den demütigen Darlegungen unserer getreuen gläubigen und umsichtigen Bürger eben dieser Stadt Ödenburg und der oben genannten Besitzung Herren und aus den Angaben unserer Vorgänger haben wir erfahren, daß sich die Bewohner der Feier einer Messe(= Markt, wie Frankfurter Buchmesse) oder eines jährlichen freien Marktes am Tage der heiligen Apostel Petrus und Paulus erfreuen durften. Angesichts des uns anvertrauten Amtes der übernommenen Herrschaft beabsichtigen wir daher- auch auf Bitten und Fürsprache der vorgenannten Herren des Landes - das Vorrecht der erwähnten Messe, welche zu Nutz und Frommen unseres Königreiches Ungarn und der Bewohner selbst eingerichtet wurde, nicht nur zu übernehmen und zu bestärken, sondern auch eine weitere Messe für die Bürger(!) Harkaus (die Harkauer waren keine Bürger sondern auch weiterhin Untertanen!), unseren Untertanen, sowie ihren Nachkommen aus unserer besonderen Güte und Huld zu erlauben, so wie es für unsere vorgenannte Stadt Ödenburg gilt. Diese zusätzliche Messe soll am Tag des heiligen Bartholomäus und an anderen Tagen, die diesem Festtag vorangehen und unmittelbar folgen, gefeiert werden, und zwar jedes Jahr mit den gleichen Freiheiten und Vorrechten, nach denen in unseren Städten, Dörfern und marktfleckenfreie Messen oder Märkte gehalten werden. Dies gilt jetzt in der vorgenannten Besitzung Harkau für ewige Zeiten. So haben wir verfügt und festgesetzt. Wir bestätigen, billigen und bekräftigen es nochmals und fügen noch folgende Bestimmung hinzu, ohne damit über die Messen und jährlichen freien Märkte in benachbarten Orten ein weiteres Urteil abzugeben:

Deshalb erlauben wir allen Händlern, Marktleuten und Wanderhändlern, soweit sie an den vorgenannten heiligen Messen am Feste des heiligen Bartholomäus oder den jährlichen Märkten in Harkau, die auf die vorgenannte Weise veranstaltet werden dürfen, mit allen Privilegien und Rechten ohne Furcht und Angst um Leben oder Güter teilnehmen, zu ihrem Wohnort, oder wohin sie sonst gehen wollen, zurückzukehren, wenn alle ihre Geschäfte dort getätigt sind. Dabei sollten ihre Person und ihr Besitz unter unserem besonderen Schutz verbleiben. Wir wollen, daß diese unsere Verfügung auf den Märkten und an allen anderen öffentlichen Plätzen überall bekannt wird. - Nach der Verlesung der vorliegenden Urkunde, so wie sie gelten soll und wir es befehlen, haben wir dieselbe mit dem Geheimsiegel versehen lassen.

Gegeben in unserer Stadt Wien in Österreich am 20. Tage des Monats August im Jahre des Herrn 1674, im 17: Jahr unseres Römischen Kaisertums, im 20. Jahr unserer Königsherrschaft in Ungarn, im 18. unserer Herrschaft in Böhmen. Leopold

Leider haben wir über die Durchführung des zweiten Jahrmarktes, des ,"Bartholomäus-Marktes" keinerlei Nachrichten, Unterlagen, Ergebnisse. Wahrscheinlich war dieser Markt nicht von langer Dauer; denn selbst die ältesten uns bekannten Harkauer, die längst verstorben sind, wußten und erzählten nichts von diesem Markt, während der "Peter und Paul-Markt" - wenn auch in letzter Zeit in kläglicher Form - bis nach dem Ersten Weltkrieg erhalten blieb.

Nach dem Gesetzartikel XVIII des Jahres 1871 wurde die rechtliche Lage der Gemeinden in Ungarn einheitlich geregelt. Danach unterschied man Klein- und Großgemeinden. Die Verwaltungsarbeiten der Gemeinden sollten nicht mehr vom "Schulmeister" so nebenher geleistet werden, sondern von einem gewählten "Notär". Der letzte "Lehrer und Notar des Marktfleckens Harkau" war Samuel Neuberger. Er erlag im Hause des Marktrichters Tobias Prujmann, "bei dem er sich wie jeden Tag morgens nach seinen Dienstobliegenheiten erkundigte", 1872 nach 41jähriger Dienstzeit in Harkau einem Herzschlag. Gemeinden, die materiell in der Lage waren, einen Notar zu erhalten, wurden als "Großgemeinde" geführt, die anderen Gemeinden konnten zu zweit, meist zu dritt gemeinsam einen Notar, einen "Kreisnotar" anstellen, der ihnen die Verwaltungsarbeit erledigte. Diese Gemeinden wurden zu Kleingemeinden.

Da Harkau in den wirtschaftlich schwierigen, drückenden siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts - wie bereits geschildert - nicht in der Lage war, alleine einen Notar zu bezahlen, schloß sie sich mit den Gemeinden Kolnhof und Wolfs zu einem gemeinsamen "Kreisnotariat" zusammen. Der Notar wohnte in Kolnhof, da diese Gemeinde in der Mitte zwischen Harkau und Wolfs lag. Der Notar oder sein Stellvertreter kam jede Woche einmal nach Harkau zum "Amtstag", an dem er den Einwohnern der Gemeinde mit Rat und Tat zur Verfügung stand, besser stehen sollte.

Das 1895 eingeführte "Staatliche Standesamt" (Matrikelamt) wurde in Harkau bis 1932 auch von einem Lehrer gefuhrt.1899 bis 1926 war Lehrer Benedek, von 1926-1932 war Lehrer R. Feiler Standesbeamter des Dorfes Harkau. Nachdem 1932 Lehrer Feiler nach Ödenburg zog, da er dort eine Lehrerstelle erhalten hatte, kam Rudolf Schwahofer als sein Nachfolger nach Harkau. Er durfte aber das Standesamt nicht fuhren, da er noch "minderjährig" war. In Ungarn wurden damals die Männer erst mit 24 Jahren "volljährig". Diese "Gelegenheit" nutzte der damalige Notar Forster aus, riß die Führung des Standesamtes als Nebenbeschäftigung an sich und stellte es später dem Lehrer auch nicht mehr zu Verfügung. Die Folge dieser "Ämterhäufung" von Seite des Notars hatte für die Harkauer Bevölkerung fast nur Nachteile. So mußten die Heiratswilligen z. B. an den Amtstagen - meist Dienstagnachmittag - ihr "Aufgebot" bestellen und 14 Tage später wieder an einem Dienstagnachmittag sich standesamtlich trauen lassen, da nur dann der Notar als Standesbeamter in der Gemeinde weilte. Die kirchliche Trauung fand aber so gut wie immer erst Sonntagnachmittags statt. So lange die Lehrer die Standesbeamten waren, zog am Hochzeitstag, am Sonntagnachmittag der Hochzeitszug geschlossen zur Lehrerwohnung, wo die standesamtliche Trauung durchgeführt wurde, anschließend zog der Hochzeitszug mit Musik zur kirchlichen Trauung. Dadurch dauerte der Hochzeitszug mit Marschmusik viel länger, was natürlich für das Brautpaar, dem Hochzeitszug und erst recht den zahlreichen "Hochzeitsschauern" nicht das Unangenehmste war. Ebenso mußten die Geburts- und Todesfälle am Amtstag oder in Kolnhof am Standesamt angemeldet werden.>/div>
Da von den drei Gemeinden zwei rein deutsch und eine kroatisch war, wurden meistens nur Notare gewählt, die neben der Staatssprache auch die deutsche und kroatische Sprache beherrschten. Als uns bekannte Notare können wir folgende nennen: N. Kontor (1919), Franz Forster von ? bis 1945 und sein Stellvertreter N. Kiraly.

Durch das obige Gesetz über die Gemeindeverwaltung verlor also Harkau ihren Titel "Marktflecken". Vielmehr als ein Titel war es leider ohnehin nicht mehr. Harkau wurde zu einer "Kleingemeinde" degradiert. Den Markt konnte die Gemeinde auch weiterhin abhalten, denn das "Marktrecht" wurde ihr nicht genommen. Bis vor dem Ersten Weltkrieg soll der "Peter und Paul-Markt" in Harkau noch ein recht ansehnlicher Markt gewesen sein. Bis zur Abtrennung des Burgenlandes kamen die Bewohner der Nachbargemeinden sehr zahlreich, um in Harkau einzukaufen. Aus der "Hienzerei" kamen die Holzhändler, die Rechen- und Heugabelmacher und andere holzverarbeitende Handwerker, aus Stoob kamen die "Bliezal"macher mit ihren verschiedenen Tonwaren, Schuhmacher, die Lebzelter aus Ödenburg, Krämer und "fliegende Händler und Marktschreier" kamen und boten ihre Ware feil. Und es wurde viel gekauft. Besonders die Tonwarenhersteller aus Stoob machten gute Geschäfte, denn "Blieza" (= Tonkrüge) zum Sauerwasser holen vom Deutschkreutzer Brunnen mußten immer neue gekauft wer- den, denn während des Jahres wurden immer welche zerbrochen. Ebenso tönerne Milchkrüge, in denen die Milch und der Rahm immer frisch und kühl blieb. Der Harkauer Markt fiel dann erst der Abtrennung des Burgenlandes und endgültig, auch der "Bliezalmoak", der Weltwirtschaftskrise anfangs der dreißiger Jahre zum Opfer.

Quelle: "Harkau - mein Heimatdorf ",
die Geschichte eines deutschen Bauerndorfes in Westungarn
Andreas Schindler (1987)