Die Gerüchte um die Aussiedlung der Deutschen verdichteten sich zur Gewißheit.
 
Vorausgegangen war eine Kette von Verträgen, Verordnungen, die bereits auf eine Bestrafung der Deutschen hinausliefen. Zunächst vertrat man die These der Kollektivschuld, die sich die am 12.12.1944 konstituierende ungarische Regierung zu eigen machte. Doch nach der Unterzeichnung des Moskauer Waffenstillstandsvertrages am 20.1.1945, in welchem Ungarn seine Souveränität wieder bekam, rückte man von der Kollektiv- schuld ab und vertrat die Ansicht, dass nur Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden sollten.
 
Doch die Praxis sah anders aus, denn die russischen Militärbehörden haben damit begonnen, die Deutschen jenseits der Theiß ohne Rücksicht auf ihre Vergangenheit nach Rußland zu deportieren, und die Ungarn merkten, dass ihre staatliche Souveränität nur begrenzt War. Vor allem war sie durch die alliierte Kontrollkommission eingeschränkt.
 
Die Haltung der ungarischen Regierung und der Parteien zur Aussiedlung der Deutschen hat sich fühlbar seit Bekannt werden des Potsdamer Abkommens (Aug. 1945) der Großmächte geändert. Sie gab ihren Standpunkt gegenüber der Kollektivverantwortung auf und brachte am 29. März 1945 die Regierungsverordnung Nr. 12-330/145 M. E. heraus. Danach musste nach Deutschland umgesiedelt werden:
 
"jeder ungarische Staatsbürger, der sich bei der letzten Volkszählung (1941) zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannte, oder seinen madjarisierten Namen in einen deutsch klingenden zurück ändern ließ, ferner wer Mitglied des Volksbundes oder einer bewaffneten deutschen Formation (SS) war."
 
Aus dem Wortlaut ist der verbrecherische Wille der damaligen Regierung klar erkennbar, die alle diejenigen loswerden wollte, die nicht bereit waren ihre deutsche Identität aufzugeben und sich madjarisieren zu lassen. Gefragt war also nicht ein Vergehen gegen die Menschlichkeit, nach einer Schuld und Verantwortung, sondern nach der Abstammung, Herkunft.

 

Diese Verordnung ist von demselben faschistischen Geist durchdrungen, der auch an den Maßnahmen der faschistischen Regierungen zurecht gerügt wurde. Und wer weiß, dass sich die damalige ungarische Regierung nur aus 20 % Kommunisten und aus 80 % der alten Parteien (Kleinlandwirte-Partei, Sozialdemokraten u.a.) zusammensetzte, dem wird klar, dass die Abneigung gegen die deutsch sprechende Bevölkerung nicht erst im 2. Weltkrieg aufkam, sondern in der langen, chauvinistischen Tradition der ungarischen Intellektuellen und anderer nationaler Führungsschichten wurzelte.

 
Die Empfindungen der Wandorfer, die die Aussiedlung auslöste und die Aussiedlungsvorgänge hat der evangelische Pfarrer Karl Pröhle versucht, aus seiner Sicht wiederzugeben.
 
In seiner Denkschrift (Exposé) von 1950 hat er über seine Amtszeit in Wandorf, über seine Wahrnehmungen bei der Aussiedlung und seine ständigen Ermahnungen an die Gläubigen berichtet. Die Ausführungen seiner in ungarischer Sprache gehaltenen Denkschrift können im Abschnitt "Evangelische Kirchengeschichte" unter dem Untertitel "Das Leben der Gemeinde (gemeint ist die evangelische Kirchengemeinde) bis 1945" nachgelesen werden.
 
Man spürt heraus, dass der evangelische Geistliche Pröhle, stets vom Rande, von der Peripherie her, versuchte auf seine "Gläubigen" (hiveim) einzuwirken. Er stand nicht inmitten des Volkes, seiner Gläubigen. Und deshalb konnte er sich mit ihren Problemen und Gefühlen nie solidarisieren. Er zeigte wenig Verständnis für die in Jahrhunderten gewachsene Tradition der Wandorfer, die er ignorierte und deshalb stets im Clinch mit der evangelische Kirchengemeinde lag. Er war bedauerlicherweise Außenseiter, der nie den Zugang zum Seelenleben seiner anvertrauten Gemeindeglieder fand, von wenigen Ausnahmen abgesehen. In dieser Rolle konnte er auch nie die anspruchsvolle Würde eines Seelenhirten erlangen, die viele seiner Vorgänger ausgezeichnet hat. Legt man seine Aufzeichnungen zugrunde, so war er in seinem Bestreben, seiner Haltung und seinem Denken eher ein politischer Mensch.
 
Diese Beurteilung kann aber seine menschlichen Qualitäten, seine humane Gesinnung nicht schmälern. Sie muss aber erlaubt sein, wenn das Verhältnis zwischen dem Geistlichen Karl Pröhle und den Wandorfern nicht einseitig nur von ihm beleuchtet sein soll. In diesem Abschnitt über die Aussiedlung sollen auch Vorkommnisse und Wahrnehmungen aufgenommen werden, die in der Denkschrift von Herrn Pröhle nicht nachzulesen sind.
 
Es geschah im Hofe Karl Degendorfers, Haus Nr. 33 in der "Kiragoßn". Das Gepäck dieser Familie sollte als erstes zum Agendorfer Bahnhof gebracht werden. Als der Notar die Hausschlüssel übernommen hatte, befahl die anwesende Polizei dem Karl Degendorfer jun. seine Pferde einzuspannen und das Gepäck zum Bahnhof zu fahren. Dieser aber verweigerte den Befehl mit dem Hinweis, man habe ihm schon alles weggenommen, weshalb die Polizei den Transport selbst besorgen solle. Daraufhin entstand ein Streit, wobei ein Polizist zu Boden ging. Die anderen Polizisten schossen danach wild in die Luft, was weitere Polizisten, aber auch die umliegenden Bauern alarmierte, die mit Mistgabeln und anderen Geräten bewaffnet herbeiströmten. Nur dem schnellen Einschreiten des Polizeikommandanten war es zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passierte. Es gelang ihm, mit Besonnenheit die aufgebrachten Gemüter wieder zu beruhigen.
 
Dieser Vorfall zeigt, wie gereizt und vergiftet die Atmosphäre war. Bei der praktischen Durchführung der Aussiedlung zeigte sich bald, dass die Grundsätze der Aussiedlungsverordnung nicht strikt befolgt wurden. Es kamen Familien auf die Aussiedlerliste, die sich nicht zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannten, andere entgingen dem Vertreibungsschicksal, obwohl sie Mitglieder des Volksbundes waren und anfänglich sogar Funktionen bekleidet hatten. Mißbrauch wurde auch bei der Beschlagnahme und Inventarisierung des Vermögens getrieben. Es drängte sich der Verdacht auf, dass mehrfach das Kriterium Hausbesitz ausschlaggebend für die Aussiedlung war, denn Ungarn benötigte für seine aus der Tschechoslowakei und der Bukovina umgesiedelten eigenen Landsleute fertige Unterkünfte, da es wirtschaftlich und zeitlich nicht in der Lage war neue zu erstellen. So spielten beim Aussiedlungsverfahren nicht nur das völkische Bekenntnis, sondern auch der Faktor Hausbesitz eine bedeutende Rolle. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Ungarn mit der Abwicklung der groß angelegten Aussiedlung organisatorisch und technisch überfordert war.
 
Die Ausgesiedelten durften pro Person etwa 50 kg Gepäck mitnehmen. Sie wurden am Agendorfer Bahnhof in Viehwaggons eingepfercht. Bei den Jungen zeigte sich ein Galgenhumor, der dem Trotzverhalten entsprang: Uns könnt ihr nicht kleinkriegen! Die älteren Wandorfer wurden nachdenklich, verloren sie doch auf einen Schlag alles, was Generationen in Jahrhunderten aufgebaut hatten und die vertraute Heimat, der sie ihre Lebenskraft opferten. Für sie war es die Entwurzelung ihres Daseins und der Anfang eines von Heimweh geplagten Siechtums.
 
Zurückgeblieben sind die ungarischen Familien, die sog. Widerständler und diejenigen von den Deutschen, denen es gelang, sich freistellen zu lassen. Nach den Angaben von Pfarrer Foltin waren es insgesamt 501 Personen.
 
Das deutschsprachige Wandorf war untergegangen. Verstummt sind auch die romantisch-seligen Volkslieder, die in den lauen Abenddämmerungen vom "Kästnwold" her zweistimmig erklangen und die Stille des Dorfes erfüllten, gespielt von den Gritsch-Musikanten, Karl Degendorfer und Gustl Türk.
 
Quelle: Wandorf - Geschichte und Entwicklung
Die Geschichte und Entwicklung eines ehemaligen Stadtdorfes Ödenburgs
Hans Degendorfer, Matthias Ziegler (1991)