Die magyarischen Zuwanderer setzten sich vor allem aus zwei sozialen Gruppen zusammen. Die eine waren Lohnarbeiter, die in den Fabriken Arbeit fanden – Tätigkeiten, die weder von den alteingesessenen Wirtschaftsbürger- und Handwerkerfamilien der Stadt noch von den Bauern der Stadtdörfer angenommen wurden. Die andere sollte sich als weit wichtiger erweisen. Es waren magyarische und besonders stark magyarisch gesinnte Beamte, Militärs (Honved), Lehrer, die zu einem beträchtlichen Teil jener Schicht der ungarischen Gesellschaft entstammten, die man gerne die „Gentry“ nennt, also Kleinadelige, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts in eine prekäre wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation gekommen waren und außer den Stolz auf ihre Herkunft nichts aufzuweisen hatten.
Sie drängten in den öffentlichen Dienst und wiesen meist auch die bildungsmäßigen Voraussetzungen auf. Sie waren es vor allem, die eine magyarische Parallelgesellschaft in der Stadt aufbauten. Die Kluft zwischen dieser neuen Oberschicht, die gerne ihre herkunfts- und bildungsmäßige „Überlegenheit“ demonstrierte, zu den Altödenburger Wirtschaftsbürgern war groß. Zum national-sprachlichen Gegensatz kam vielfach auch der konfessionelle, denn diese zugewanderten Offiziere, Beamten, Lehrer waren überwiegend katholisch, zum kleineren Teil auch kalvinistisch. Am ehesten wurde die Kluft noch von wenigen, im Raum Ödenburg verwurzelten und zumeist zweisprachig erzogenen lutherisch- magyarischen Kleinadelsfamilien überbrückt. Auch im Kulturleben spielten diese im 19. Jahrhundert noch eine wichtige Rolle (Kiraly, Kis, Rumy u. a.).
Wie die Bevölkerungsentwicklung zeigt, war die wirtschaftliche Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts keineswegs rosig. 1808 verursachte ein großer Brand schwere Schäden. Ab 1809 hatte die Stadt eine französische Besatzungstruppe zu verkraften. Die französische Besatzung verhielt sich zwar sehr diszipliniert, die finanziellen Belastungen waren aber enorm.
Einige Initiativen zur wirtschaftlichen Erholung und Modernisierung gingen vom Grafen Istvan Széchenyi aus, der als Schloss- und Gutsherr des nahen Großzinkendorf (Nagycenk) und als Besitzer eines Stadtpalais eine enge Beziehung zur Stadt hatte. Verglichen mit Wiener Neustadt, das schon früh zum Mittelpunkt eines großen Industriegebietes wurde, oder auch mit Raab (Györ), das von seiner bevorzugten Lage an der Donau (Donauhafen) profitierte, blieb die wirtschaftliche Entwicklung Ödenburgs aber eher bescheiden. Zumindest bis gegen Ende des Jahrhunderts waren die Anfänge einer Industrie nur marginal. Die Stadt lag abseits der wichtigsten Verkehrswege. Der Vieh- und Getreidehandel, vor allem der Schweinehandel, war zwar von großer Bedeutung, der etwas verspätete Einbau in das erstrangige Eisenbahnnetz machte sich jedoch bald bemerkbar. Der Kolonialwarenhandel etwa oder auch der Import von Baumwolle über Triest verlief nun über die Semmeringstrecke. Die Hauptverbindung nach Budapest, dem aufstrebenden Wirtschaftszentrum des Königreiches, verlief über Preßburg und Komorn. Die Errichtung der Bahnlinie Wiener Neustadt-Ödenburg (1847) band die Stadt zwar an die Südbahn an und verstärkte die intensiven Wirtschaftsbeziehungen zu Wien, vor allem nach dem Abschluss der Österreichisch-Ungarischen Zollunion 1850. Das Hinterland Ödenburgs, besonders für den Viehhandel, wurde erst mit der Strecke nach Nagykanizsa 1865 erschlossen. So behielt Ödenburg noch lange seinen Charakter als Wirtschaftsbürgerstadt, trotz der oben bereits geschilderten Aktivitäten einiger sehr rührigen Gruppen des Bürgertums. Die Mehrzahl der deutschen Einwohner lebte nach wie vor vom Weinbau, der aber in der zweiten Jahrhunderthälfte seine schwerste Krise durchmachte. Durch die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 wurden die Exporte nach Deutschland verteuert und erschwert, die Weingartenfläche wurde um nahezu ein Fünftel verkleinert. Schließlich trat gegen Ende des Jahrhunderts die Reblaus verstärkt auf und vernichtete den Großteil der Weingärten.
Die Märkte Ödenburgs hatten vor allem regionale Bedeutung. Die zwei Wochen- und vier Jahrmärkte spielten in der Versorgung der Stadtbevölkerung bzw. der Dörfer noch eine wichtige Rolle. Ab 1884 wurden pro Jahr acht Pferdemärkte abgehalten, die ein weites Einzugsgebiet hatten. Seit 1846 hatte Ödenburg auch ein Wollmarktrecht.
Als zentraler Ort der Verwaltung und auch im Bildungswesen hatte Ödenburg zumindest zeitweise größere Bedeutung. In der Bachära nach der gescheiterten Revolution wurde Ödenburg Distriktshauptstadt, also das Verwaltungszentrum für alle neun Komitate Transdanubiens. Mit etwa 5000 Beamten, die größtenteils aus ganz Westungarn in die Stadt zogen und natürlich auch Wohngelegenheiten brauchten, erlebte die Stadt eine Scheinblüte. Dauerhafter war der Ausbau als Schulzentrum. Beamte und Lehrer in großer Zahl veränderten die Bevölkerungsstruktur und auch die ethnische Zusammensetzung, aber auch das geistige Klima entscheidend zu Gunsten der Magyaren.
Die Industrialisierung der Stadt war um die Jahrhundertmitte noch bescheiden. Im Jahre 1794 hatte ein Graf Saurau eine Glashütte gebaut und ebenfalls 1794 wurde eine Zuckerfabrik in der Neustiftgasse errichtet. Auch Ziegeleien und Kalkbrennereien waren bereits vorhanden. Es gab drei Spinnereien und einige Lebensmittelfabriken. 1834 wurde die Ödenburger Dampfmühlgesellschaft gegründet, 1840/41 der Ödenburg-Eisenburger Maulbeerenverein und 1845 die Seidenspinnerei AG. Alle diese Initiativen wurden von Széchenyi gefördert, den man 1835 zum Ehrenbürger der Stadt ernannte. 1847 organisierte Széchenyi eine Industriemesse. 1842 gründeten Ignaz Flandorfer und Széchenyi die Ödenburger Sparkasse, 1843 die Ödenburg-Wiener Neustädter Eisenbahngesellschaft. 1847 wurde diese erste Bahnlinie fertig gestellt. 1865 entstand die Gasfabrik.
Die schwere Wirtschaftskrise der 1870er-Jahre beendete auch in Ödenburg diese erste Welle der Modernisierung. 1873 brachen sechs der acht Ödenburger Kreditinstitute zusammen. Erst gegen Ende des Jahrhunderts kam es zu einer neuen „Gründerzeit“. 1898 wurden die Elektrizitätswerke errichtet, 1896 die Brauerei und Malzfabrik , 1909 die Philipp Haas-Teppichfabrik, ein Werk des großen Wiener Textilunternehmens, und 1910 die Gießerei der Ödenburg-Grazer Eisenwarenfabrik, die sich zu einem der größten Betriebe der Stadt entwickeln sollte. 1922 entstand die Baumwollweberei der Firma Preis u. Co., 1934 kam die Ödenburger Kammgarnspinnerei hinzu.
Autor: Michael Floiger