Ödenburg weist eine faszinierende Kontinuität in seinem fünfhundertjährigen Theaterleben auf, die von mittelalterlichen Laienschauspielen über das berühmte Theater des evangelischen Gynasiums, die aufwändigen und spektakulären Vorstellungen des Jesuitenkollegs bis zum frühen regelmäßigen Theaterbetrieb seit dem 18. Jahrhundert reicht. 1716 traten erstmals Berufsschauspieler auf, 1754 spielte eine Theatergruppe in der Trockenmühle (Ochsenmühle) beim Hinteren Tor. Diese wurde 1769 zum Theater ausgebaut und von Stefan Dorfmeister ausgemalt. 1779 war Kaiser Josef II. bei einer Aufführung anwesend.
Das Publikum war anspruchsvoll, es forderte Stücke höchster Qualität (Schiller, Lessing, Shakespeare...) 1810 begann Ferdinand Raimund seine Karriere in Ödenburg, Theresia Krones trat auf ... Keine andere Stadt mit Ausnahme Preßburgs hat im Königreich Ungarn eine derartig großartige deutsche Theatertradition aufzuweisen. 1820 spielte aber auch schon erstmals eine ungarische Theatergruppe. In der Gesamtschau war die gebotene Qualität zumeist hoch, die Inszenierungen und die Schauspieler konnten sich durchaus mit Wien messen. Es gab freilich auch immer wieder kurze Phasen des Qualitäts- und Bedeutungsverlustes. Es hing vom jeweiligen Theaterdirektor und von dessen finanziellen Möglichkeiten ab, ob es gelang ein entsprechend attraktives Programm zu bieten. Das Publikum war anspruchsvoll, wohlhabende Bürger konnten sich – besonders nach dem Bahnbau – ein Ausweichen nach Wien leisten.
1841 wurde das neue Theater eröffnet. Es wurde im klassizistischen Stil vom bekannten Wiener Architekten Franz Lössl entworfen. Der Haupteingang war mit dem Gott Apollo und zwei Musen geschmückt. Zur Eröffnungsgala wurde Bellinis Norma aufgeführt, den Prolog sprach der bekannte Schriftsteller Saphir. Unter dem Publikum befanden sich viele Prominente, unter anderen auch Graf Stefan Széchenyi. Noch in der gleichen Theatersaison wurden in nur vier Monaten 22 Stücke gespielt, darunter Schillers Don Carlos und Goethes Egmont. Im folgenden Jahr wurden einige Stücke vom Publikum als langweilig kritisiert, so dass im Frühjahr 1843 zwanzig neue Schauspiele aufgeführt wurden, darunter Schillers Wilhelm Tell und Wallensteins Tod, Calderons Das Leben ein Traum und Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung. Pächter des Theaters war Theaterdirektor Pokorny, der mit seinem Ensemble auch in Preßburg, in der Josephstadt in Wien und in Baden auftrat. Ein besonders erfolgreicher Theaterdirektor war Philipp Kottaun, der 1848 auf die Seite der Revolution stellte und „Zrinyi“ von Theodor Körner sowie „Freiheit in Krähwinkel“ aufführte. In seiner Direktionszeit wurden auch viele Opern geboten, die sich durch üppige Ausstattung auszeichneten. 1867 besuchte Johann Nestroy das Theater. Die weitere Entwicklung des Ödenburger Theaters ist zwar sehr interessant, soll hier aber nur verkürzt dargestellt werden. In den 1860er-Jahren gab es vermehrt Operettenaufführungen und es traten bereits vereinzelt ungarische Schauspieltruppen auf. Auch ungarische Stücke in deutscher Übersetzung wurden vermehrt gespielt. In den 1870er-Jahren hatte das deutsche Theater seinen Höhepunkt überschritten. In der Folgezeit wurden immer mehr ungarische Stücke gespielt, die Zahl der Theaterbesucher ging stark zurück. Es war ganz offensichtlich das Ziel des Budapester Kultusministeriums, das deutsche Theater abzuwürgen, indem man dessen Spielzeit begrenzte. Dieser Tendenz entsprach auch die bauliche Umgestaltung, vom klassizistischen auf den als „magyarisch“ empfundenen sezessionistischen „Tulpenstil“.
Das literarische Leben der Stadt war auch noch im 19. Jahrhundert äußerst rege und brachte eine Fülle von großartigen Persönlichkeiten hervor. Obwohl noch überwiegend deutschsprachig und der deutschen Kultur eng verbunden, waren diese auch für die geistige Entwicklung Ungarns und auch den Aufstieg des Magyarischen zur Literatursprache von enormer Bedeutung. Zugleich spiegelt das Geistesleben des 19. Jahrhunderts geradezu exemplarisch die Verschiebung von einer übernational-humanistischen Prägung zu einer magyarischen Nationalkultur wider. In der ersten Jahrhunderthälfte sah man hier noch keinen Widerspruch. Szabolcs Boronkai weist darauf hin, „dass im 19. Jahrhundert das Zugehörigkeitsgefühl zum deutschen Volk und zur deutschen Kultur und Loyalität und Vaterlandsliebe Österreich (und/oder Ungarn) gegenüber einander noch nicht ausgeschlossen haben“ (a. a. O. S. 53).
Unter den evangelischen Geistlichen der Stadt war Gottlieb Gamauf (1772–1841) literarisch tätig. Er veröffentlichte Kirchenlieder- und Gebetssammlungen, beschäftigte sich mit der Geschichte der Stadt und verfasste ein Lehrbuch der Erdkunde (Kurzer Unterricht in der Erdbeschreibung für Kinder. Ödenburg. Wiegand 1819, 114 Seiten). Nicht gedruckt wurde die „Geschichte der Evangelischen Kirche in Ödenburg“. Sein Nachfolger Kolbenheyer aber hat sein Manuskript später für einige Aufsätze zu diesem Thema verwendet.
Autor: Michael Floiger