Auch von Király fühlte sich der deutschen Kultur noch eng verbunden - trotz seiner Loyalität zu Ungarn. Das war eine Haltung, die die nationalmagyarische Seite nicht mehr verstand. Dazu Boronkai sehr treffend: „Die Fremdsprachigkeit war aus der ungarischen Literatur schon längst verbannt, in der kleinbürgerlichen Stadtkultur Ödenburgs bestand aber noch kein Gegensatz zwischen der Deutschsprachigkeit und dem ungarischen Patriotismus der Einwohner. Überreste dieser Einstellung konnten sich bis in die Zeit des „Anschlusskampfes“ um das Burgenland und bis zur Ödenburger Volksabstimmung halten und beeinflussten deren Ausgang entscheidend.
Neben Kolbenheyer und von Király waren aber schon längst andere Kräfte am Werk, die sich stark mit dem Namen Adolf Frankenburg (1811–1884) verbinden. Er entstammte einer deutschen Familie aus Deutschkreutz, ging in Fünfkirchen zur Schule und verfasste seine ersten Gedichte in deutscher Sprache. Seine Komödie „Der erste April“ wurde in Ödenburg aufgeführt. Er schrieb auch Stücke für das deutsche Theater in Pest. 1836 zog Frankenburg nach Pest, bekleidete verschiedene staatliche Ämter und war Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften. Die gefährlichen Jahre 1847 bis 1866 verbrachte er als Amtsdolmetscher in Wien. Nach seiner Rückkehr nach Budapest war er neben seiner Beamtentätigkeit wieder als Journalist tätig. Er war längst zum überzeugten Magyaren geworden. Nach seiner Pensionierung kehrte er nach Ödenburg zurück und wurde zu einer treibenden Kraft der Magyarisierung der Stadt. Wie bereits erwähnt, gründete er den „Irodalmi és Müvészeti Kör“, den Literatur und Kunstverein (ab 1912 Frankenburg Irodalmi Kör, Frankenburg Literaturverein) sowie andere Vereine. Ihr Ziel war deutlich formuliert: die Zurückdrängung der Deutschsprachigkeit.
Ein kurzer Abschnitt dieses Überblicks über die Geistesgeschichte Ödenburgs im 19. Jahrhundert sei einer Persönlichkeit gewidmet, die wie keine andere Gewaltiges für das alte Ödenburg geleistet hat. Das trifft umso mehr zu, als die Volkskultur der Stadt und ihrer Dörfer mit der Vertreibung größtenteils unwiederbringlich verloren gegangen ist: Johann Reinhard Bünker, Volksschullehrer an der evangelischen Volksschule in Ödenburg, Kustos des Museums und Erforscher der Volkskultur Westungarns.
Bünker entstammte einer Kärntner Familie, die aus der Schweiz einwandert war. Die Familie Bünker stellte einige evangelische Pfarrer und mit Michael Bünker heute den Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich. Johann Reinhard Bünker wurde 1863 in Seebach bei Millstatt geboren, er besuchte das evangelische Lehrerseminar in Oberschützen, lernte die ungarische Sprache in Raab und war anschließend Privaterzieher der reichen Weinhändlerfamilie Lenck in Ödenburg. 1893 wurde er als Lehrer an der Evangelischen Volksschule angestellt. Sein wichtigstes Wirkungsfeld fand er ab 1901 als Oberkustos des Ödenburger Stadtmuseums.
Das Museum hat eine bemerkenswerte Geschichte. Schon 1867 gründete der Ödenburger Historische und Kunstverein ein Stadtmuseum – das erste in ganz Ungarn. 1901 wurde das Museum mit dem Komitatsmuseum vereint und neu gegründet. Es war zunächst im ersten Stock des neuen Rathauses untergebracht. 1907 erwarb die Stadt die Lenckvilla am Deákplatz – eine im Stil eines römischen Landhauses gebaute Villa. Sie wurde zum Museum umgebaut und 1913 eröffnet. Die Sammlungen, vor allem die Volkskundesammlungen, trugen ganz die Handschrift Bünkers, darunter je eine deutsche, magyarische und kroatische Bauernstube sowie zahlreiche Objekte aus dem bäuerlichen und handwerklichen Leben (heute Ferenc Liszt-Museum).
Bünker war unermüdlich als Volkskundeforscher unterwegs und veröffentlichte seine Arbeiten überwiegend in den „Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft“ in Wien, darunter eine Arbeit über die Bauernhausformen in der Umgebung von Ödenburg, mit Handzeichnungen reich illustriert. Er sammelte Kinderreime, Volksschauspiele und für Ödenburg besonders wichtig – die Erzählungen des Straßenkehrers Tobias Kern (J. R. Bünker: Was mir der alte Mann erzählte). Bünker starb am 13. November 1914.
Autor: Michael Floiger