Der „Chuomberg“ ist der Wienerwald, freilich nicht im heutigen Sinn, sondern damit ist der gesamte Ostalpenrand zum Wiener Becken hin, also auch das Rosaliengebirge und das Ödenburger Bergland, so wie der karolingerzeitliche Witanesberg mit dem Wechselmassiv zu identifizieren ist und mit seinen Ausläufern das Bernsteiner- und das Günser Gebirge einschließt. Dort ist die Namenskontinuität gesichert. Der „Chuomberg“ reichte also bis unmittelbar an das Schenkungsgebiet heran. Die Raab liegt zwar weiter weg, allerdings könnte damit auch die Rabnitz, die „Kleine Raab“, wie sie früher auch genannt wurde, gemeint sein, was auch Mollay in Erwägung zieht. Für eine großräumige Lagebestimmung reicht das allemal noch aus, besonders mit dem Zusatz, bis zu dem Ort, „wo die Ebene in die Berge übergeht“. Das ist eindeutig - und dort liegt auch Odinburch- Ödenburg. Zusätzlich wird die Schenkung auch noch kleinräumig abgegrenzt, mit dem „Nussbach“ und mit den Besitzungen des Amalger und des Waltilo (Walter), die Mollay glatt unterschlägt. Eine genaue Lokalisierung ist freilich nicht möglich, da die Bezeichnung Nussbach verschwunden ist. Eine Gleichsetzung mit der Eika (Ikwa), dem „Eichenbach“, oder dem Loipersbacher Loosbach, wie sie Fritz Zimmermann vornahm, ist jedenfalls nicht möglich (Loosbach hat eine slawische Wurzel, von „Loza“=Wald). Auf die Lokalisierung des Nussbaches wird man wohl auch in Zukunft verzichten müssen, will man sich nicht erneut auf gewagte Spekulationen einlassen. Die übrigen Angaben sind aber eindeutig genug, so dass nur eine Schlussfolgerung bleibt: Odinburch ist Ödenburg. Und das wird in der heutigen ungarischen Geschichtsschreibung zumeist auch anerkannt.

Besonders bemerkenswert ist, mit welchem Aufwand Mollay versuchte, auch die Erwähnung der „Civitas Deserta“ in den Niederaltaicher Annalen in Frage zu stellen. Es geht in dieser Urkunde um Bischof Günther von Bamberg, der mit seinen Begleitern von einer Pilgerfahrt in das Heilige Land zurückkehrt und unterwegs, in der Civitas Deserta eben, am 23. Juli 1065 stirbt. In diesem Fall griff Mollay radikal durch und unterstellte, dass die Civitas Deserta vom Humanisten Aventin einfach erfunden wurde. Die Originalurkunde ist ebenfalls nicht erhalten, Aventin hat sie im 16. Jahrhundert als erster bearbeitet. Die Argumentation Mollays ist, gelinde gesagt, gewagt. Zunächst einmal meint er, dass der Bezug auf Ödenburg „unbegreiflich“ sei, da ja Günther und seine Begleitung über Raab und Wieselburg gereist sein mussten - nur, weil es der direkte Weg gewesen sei. In der Lebensbeschreibung des Bischofs Altmann von Passau wird über den Tod Günthers ebenfalls berichtet. Die Pilger hatten sich in Wizenburg, also in Weißenburg (Stuhlweißenburg) bei König Salomon von Ungarn (->Wikipedia) aufgehalten, wo auch ihr Landsmann Potho eine wichtige Position innehatte. Diese Tatsache wird von Mollay, obwohl in der Forschung allgemein anerkannt, ebenfalls in Zweifel gezogen. Er meint, Wizenburg mit Wieselburg gleichsetzen zu müssen, und wer über Wieselburg reist kann eben nicht durch Ödenburg kommen. Weiters schließt er „haarscharf“, in der Urkunde sei eigentlich „Miesenpurc“ gestanden, die alte Form von Wieselburg (von Moosburg abgeleitet, davon auch der ungarische Name Moson). Aventin aber hätte damit nichts anfangen können, da zu seiner Zeit bereits die Namensform „Wiesenburg“ üblich war, und so habe er eben gemeint, der Ort wäre verschwunden und hätte ihn daher Civitas Deserta genannt. Erst später, in einer Randbemerkung, habe er entdeckt, dass man diese auch mit Ödenburg gleichsetzen könne.

Da Mollay diese Argumentation offenbar selbst nicht ganz geheuer ist, versucht er Aventins Zuverlässigkeit im Hinblick auf Ortsnamen zu diskreditieren und dann geht er das Problem auch von anderer Seite an: „Abgesehen davon, dass aus einer Benennung ‘die öde Burg’ die Namensform Ödenburg nie entstanden wäre, ist es sprachpsychologisch ... bereits ganz klar, dass die Deutschen ihre Siedlung unmöglich ‘die öde Burg’ benannt hätten“ (S.51). Das ist ein Argument, auf das man eingehen muss, denn hier liegt auch ein grundsätzliches Missverständnis der Stadtentwicklung zu Grunde. Dabei muss man Mollay zugestehen, dass einige grundsätzliche Erkenntnisse in der europäischen Stadtgeschichtsforschung ja erst in der Nachkriegszeit erfolgten.

Im Frühmittelalter waren es nicht die römerzeitlich befestigten Stadtkerne, die zum Kern der Erneuerung und des Wiederaufstieges wurden. Diese gewannen erst später, mit dem Erwachen neuer städtischer Funktionen, etwa besonders häufig als Bischofssitze, an Bedeutung. Erste Ansatzpunkte der neuen Stadtentwicklung waren die Siedlungen außerhalb der „Burg“, also der befestigten Stadt, die Suburbia, die Vorstädte, in denen ja die bäuerliche Bevölkerung seit jeher wohnte und in der sich auch die Kolonisten aus dem Westen nieder ließen, wo auch die ersten temporären Märkte der Wanderhändler abgehalten wurden, wo die ersten Kirchen als Begräbniskirchen entstanden. Die Hauptkirche des mittelalterlichen Ödenburg, die Marienkirche (in den Türkenkriegen abgerissen) lag außerhalb der Mauer, die Jokobskapelle und die Michaelerkirche entstanden als Begräbniskirchen in der Vorstadt. Das neue Ödenburg entstand also nicht in der „Öden Burg“, sondern in der Vorstadt. Die Burg blieb „öde“ und es ist natürlich kein Wunder, dass die „Deutschen“ den alten Namen tradierten. Die Benennung der Überreste der Römerstadt, die ja wohl noch deutlich sichtbar waren, als Öde Burg durch die bäuerliche Bevölkerung rund um die Mauern ist also durchaus logisch. Noch viel später mussten die ungarischen Könige erheblichen Zwang anwenden, um die Bewohner in die „Burg“, also in die Innenstadt, zu zwingen, da sie deren Wehrfunktion brauchten. Die „Vorstädter“ weigerten sich, denn ein Haus in der „Burg“, in der Innenstadt, war mit erheblichen Belastungen verbunden (Mauerbau, Wachdienst ...). Das schließt natürlich nicht aus, dass die „Burg“ militärische Besatzungen beherbergte, also germanische, awarische, fränkische Kriegergruppen, die das gesamte Gebiet „sicherten“. Und diese Funktion wird die Burg auch nach der Ankunft der Magyaren erfüllt haben. Der Ausbau der Innenstadt zur starken Festung mit einer Burgbesatzung erfolgte aber - und das beweist ja auch die Archäologie - nicht zur Zeit der „Landnahme“ und nicht zur Zeit Stephans, sondern erst, als Angriffe vom Westen her zu befürchten waren. Nun erst wurden die „Roten Schanzen“ errichtet, die vermutlich nur eine kurzfristige Bedeutung hatten. Der Mongolensturm brachte dann endgültig das bisherige, antiquierte Verteidigungssystem zum Einsturz. Als in die Zukunft weisend, auch in militärischer Hinsicht, erwiesen sich die stark befestigten Bürgerstädte.

Erst mit der wieder zurück gewonnenen Verteidigungsfunktion wird auch die Bezeichnung als „Castellum“ für die Innenstadt wieder üblich: „Castellum Cyperon“ ist die befestigte Innenstadt, der der Sitz des Gespans und der Burgbesatzung aus Jobagiones Castelli. Über Cyperon, das sich offenkundig vom „magyarischen“ Suprun ableitet, wird noch später zu sprechen sein. Der vermeintliche Widerspruch „civitas deserta“ und wohl schon recht beachtlicher Siedlung im Jahre 1065 löst sich natürlich sofort auf, wenn man in der civitas deserta, der öden Burg“, schlicht und einfach eine Übersetzung der deutschen Ortsbezeichnung Ödenburg sieht. Dass slawische und deutsche topographische Bezeichnungen den Magyarensturm überlebt haben, ist ja vielerorts bewiesen (Eyka-Ikva, Wolfsbach - Wulka, Wiesach aus der Urkunde von 808, Wieselburg, Preßburg ...).

Etwas überspitzt könnte man formulieren: die Stadt war in ihren mittelalterlichen Anfängen - so wie viele andere Städte in Mitteleuropa und auch in Ungarn - zweigeteilt: in die Bauern - Markt- und Handwerkerstadt vor den Stadtmauern mit den wichtigsten Kirchen und in die „Garnisonsstadt“, mit militärischer, richterlicher und Verwaltungsfunktion. Darin auch eine ethnische Zweiteilung zu sehen ist sicher vereinfachend. Die Gespane und Burgbesatzungen waren Magyaren, bald fand man aber auch in ihren Reihen petschenegische und deutsche Namen. Außerhalb der Mauern lebten die Bevölkerungsgruppen aus früherer Zeit, überwiegend wohl Menschen slawischer Herkunft , und die neu zugewanderten Deutschen, aber auch die zur Burgfunktion gehörenden Gruppen, also die „Schützen“ in den Löver, die Schmiede und wohl auch die militärischen Gefolgschaften. Mit der Aufgabe der königlichen Burg, der Aufteilung des Burglandes, dem Aufstieg des Bürgertums wurde die gesamte Stadt wieder zur „Civitas“. in der Sprache der Urkunden „Civitas Soproniensis“. Sie übernahm nunmehr auch als Ganzes die Verteidigungsfunktion. Ein homogener Bau- und Sozialkörper wurde die Stadt aber nie. Der Gegensatz Innenstadt - Vorstädte blieb erhalten, ebenso die gelegentlichen Spannungen. Die Innenstadt war ja immer Sitz der Autorität, der Herrschaft, auch wenn die Herrschaftsträger von Gespanen und Jobagionen auf den hochmittelalterlichen „Stadtadel“ und auf das spätmittelalterliche Patriziat überging.

Um auf Mollay und seine Interpretation der Niederaltaicher Annalen zurückzukommen: Wozu dieser Aufwand an höchst fragwürdigen Konstruktionen fragt man sich heute. Mit der Erwähnung der Civitas Deserta wurde ja nichts über die ethnische Zugehörigkeit der Bewohner gesagt und auch die Zugehörigkeit zum Königreich Ungarn nicht in Frage gestellt. Es ging Mollay nur darum, das Weiterleben des Stadtnamens Ödenburg, hier in der lateinischen Form, von der Karolingerzeit bis in das 11. Jahrhundert in Frage zu stellen, nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Unausgesprochen ging es natürlich auch um die Siedlungskontinuität, also um die Frage, gab es schon im 11. Jahrhundert Deutsche in Ödenburg gab, obwohl der Name ja nichts über die Bewohnerschaft aussagt. Schon in der Nachkriegszeit hat man diese Thesen Mollays auf deutscher Seite als unwissenschaftlich ignoriert und belacht. Trotzdem haben sie in der magyarischen Geschichtsschreibung weiter gewirkt und man kann noch heute mit Berufung auf Mollay gelegentlich lesen, dass die Gleichsetzung Odinburchs mit Sopron „endgültig“ widerlegt sei.

Sehr interessant ist ein anderer Teil der Arbeit Mollays, in der er die Deutung des Ortsnamens Ödenburg im Laufe der Geschichte aufzeigt. Noch im 15. Jahrhundert taucht die Version „Erenburg“ auf, der sich eindeutig aus der mundartlichen Aussprache des Ortsnamens („E(d)nburg“ - Öde = Ed, siehe etwa den Familiennamen Eder). Der Humanist Cuspinian (Spieß), der sich 1514 bis 1526 mehrmals in Ödenburg aufhielt, meinte, die Stadt sei von Kaiser Honorius gegründet worden. Erenburg wurde als Ehrenburg gedeutet und um diese Namensinterpretation entstand eine Sage, die im ausgehenden 18. Jahrhundert auch in einer handschriftlichen Chronik aufgezeichnet wurde. Die Verödung wurde verschiedentlich auch auf die Feldzüge Heinrichs III. bezogen. In der Wiener Bilderchronik etwa heißt es zum Feldzug Ende Juni 1044: „invasit fines Hungariae, intrans per Supronium“. Andere Ableitungen des Ortsnamens gingen von einer „Burg in der Öde“ aus, wobei vor allem die Humanisten einen Zusammenhang mit der „Boierwüste“ der Römerzeit sahen, andere wiederum diese Interpretation angesichts der Fruchtbarkeit der Landschaft als unzutreffend zurrückwiesen. Auch als „Odins Burg“ wurde der Ortsnamen interpretiert. Eine weitere Ableitung erfolgte vom Personennamen Odo, also „Odos Burg“. Kurios ist eine Ableitung aus dem Hebräischen von Eden - Berech oder Barach, was „Ort von Wonne und Anmut“ bedeuten soll (Mollay, S. 76). Noch 1526, als die Vertreibung der Juden aus der Innenstadt bevorstand, hätten sich diese auf alte Grabsteine im jüdischen Friedhof berufen, die angeblich bewiesen, dass sie schon seit 600 Jahren in der Stadt lebten. „Öde Burg“ wurde auch auf die Belagerung und Zerstörung der Stadt durch König Ottokar Premysl von Böhmen bezogen, etwa von Matthias Bel und auch von Matthias Korabinski, zwei Autoritäten der historischen Landeskunde. Diese Möglichkeit kann aber auf Grund der Quellen ausgeschlossen werden. Der Name „Ödenburg“ hat also zahlreiche Deutungen in der Bevölkerung und auch in frühen, mehr oder weniger den Anspruch der „Wissenschaftlichkeit“ erhebenden Arbeiten gefunden.

Die siedlungsgeschichtlichen Schlussfolgerungen, die Mollay aus seinen Untersuchungen zieht, seien noch kurz dargestellt, obwohl sie durch die Archäologie längst als falsch erkannt wurden und widerlegt wurden, aber vereinzelt noch durch die Literatur geistern. Dabei baut Mollay auf die - wie wir gesehen haben, höchst zweifelhaften linguistischen Befunde auf und behauptet, dass „die sichergestellten Belege für den Ortsnamen Ödenburg im besten Fall nach den 1270-er Jahren ... beginnen“ (S83) und „vom Namen Ödenburg kann vor den 1270-er Jahren weder ein lokales noch ein außerlokales Leben erwiesen werden, was beim ungarischen Namen nicht der Fall ist. Der deutsche Namen erscheint sogar nach den 12-er Jahren in deutschen Quellen neben dem ungarischen Namen“ (S.85). „Der erste Beleg aus Sopron selbst (für Ödenburg) stammt aus 1361, mit einer bedeutenden deutschen Mehrheit in der Stadt ist also erst von dieser Zeit an zu rechnen“ (S.85) Mollay erkennt also weder Odinburch noch Civitas Deserta an und macht „Supronium“ zum „ungarischen Namen“ der Stadt. Er erkennt also nicht, dass es sich hierbei um die latinisierte Urkundenform von Suprun handelt, geschweige denn, dass er die „magyarische“ Herkunft von „Suprun“ in Zweifel zieht.