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Am 20. Mai 2012 fand um 8 Uhr 40 die Gedenkfeier anlässlich der Vertreibung der Deutschen aus Ödenburg statt. Am Vertreibungsdenkmal neben der evangelischen Kirche hielt unser Teammitglied Magister Michael Floiger die Festrede. Anschließend fand in der Kirche ein ökumenischer deutscher Gottesdienst statt.

Die Festrede von Michael Floiger

Sehr geehrte Damen und Herren!

hoffentlich war sich Frau Krisch des Risikos bewusst, als sie einen Historiker einlud, einige Worte in dieser Feierstunde zu sprechen. Sie wissen ja, Historiker sind eine gefährliche Sorte Mensch - zwei Drittel der Wahrheit verschweigen sie, das letzte Drittel biegen sie so hin, wie es ihre Karriere erfordert oder ihr Brotgeber will. Noch dazu zeigen sie stets mit dem Zeigefinger der Moral auf die Vorfahren, die alles falsch gemacht haben.

Sollte man das Vergangene vergessen, die schwere Last abschütteln, sich am hier und jetzt freuen? Man kann sich auch in dieser Stadt durchaus an Kaufhäusern, an billigen Frisiersalons, an Restaurants und Konditoreien, an Hunger und Durst orientieren, man kann Dutzende Mal nach Sopron fahren, ohne je die Innenstadt betreten zu haben.

Wer aber noch nicht ganz zum Konsumidioten degeneriert ist, wer sehen kann und sich etwas Sensibilität für das Schöne und das Bemerkenswerte bewahrt hat, kann in dieser wunderbaren Stadt nicht vorbeigehen an den tausend Zeugnissen der Vergangenheit.

Er wird zwangsläufig fragen -  fragen wie das alles entstanden und geworden ist. Es sind Denkmäler einer langen und bemerkenswerten Vergangenheit, eines unglaublichen Selbst- und Kulturbewusstseins eines Gemeinwesens, das mich oft an die italienischen Stadtstaaten der Renaissance erinnert. 

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Imre Tóth hat vor kurzem sehr treffend von einer Art „Polis-Attitüde“ gesprochen. Ödenburg war ein selbstbewusster Stadtstaat, lange bevor die Nationalstaatsidee sich in den Hirnen festsetzte und die Stadt zwang, sich der einen oder anderen Seite anzuschließen, wobei man mit beiden Seiten oft wenig Freude hatte.

Die Frage nach den Wurzeln wird jeder Besucher stellen, derjenige, dessen Vorfahren seit Jahrhunderten in dieser Stadt gelebt haben oder auch derjenige, dessen Familie vor zwei oder drei Generationen zugezogen ist und dem Sopron Heimat geworden ist. Aber auch jene, die 1946 vertrieben wurden und selbst ihre Kinder und Kindeskinder suchen nach diesen Wurzeln, interessierter als die Generation der Alten, die man mit Gewalt „entwurzelt“ hat.

Die Historiker der Stadt Ödenburg haben vor allem seit der Wende vieles geleistet. Sie haben die alten Stadtbücher herausgegeben, den wunderbaren Atlas zur Stadtgeschichte und vieles mehr. Auch die Vertreibung wurde hervorragend dokumentiert, wie sie ja alle wissen. Im erwähnten Stadtatlas scheint die Vertreibung allerdings nur in einem Nebensatz auf - als willkommene Lösung eines stadtplanerischen Problems.

Manches stört noch, etwa die noch immer fehlenden deutschen Beschriftungen im Museum. Man spürt, dass da noch immer einige Tabus fortwirken. Das trifft natürlich auch auf die Geschichtsschreibung auf der anderen Seite der Grenze zu. Eine differenziertere Sicht auf die Magyarisierung hat uns erst das Werk von Szabolcs Boronkai eröffnet und die Geschichte der Volksabstimmung, die traurige Rolle Österreichs, müssen wir zur Kenntnis nehmen und unsere Legenden über Bord werfen.

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Es gibt viele Denkmäler in dieser Stadt, nahezu jedes Haus ist ein solches. Es gibt großartige Denkmäler wie die zweisprachigen Ortstafeln und die Straßenbezeichnungen, es gibt die neuen Bänke, die an große Ödenburger erinnern... Sie zeugen vom Willen der Stadt, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und sie zur Kraftquelle zu machen.

Und es gibt seit zwei Jahren dieses Denkmal hier, ein ganz besonderes Denkmal. Wir wissen alle um die Problematik solcher Denkmäler zur jüngeren, belasteten Vergangenheit. Sie können gewaltig daneben gehen.

Sind sie protzige Denkmäler der Sieger, rufen sie die Ablehnung der Besiegten hervor. Sind sie Denkmäler, die an die Unterlegenen, die Leidtragenden der Geschichte zu penetrant erinnern, wecken sie den Trotz jener, die sich nach dem Willen unserer Geschichtsmoralisten als Schuldige und Täter  fühlen sollen - 

und verfehlen damit ihr Ziel, ja rufen neue Ablehnung hervor. Das  Denkmal hier ist ein Musterbeispiel dafür, wie man diese gefährlichen Klippen vermeiden kann. In seiner bescheiden zurückhaltenden Art, mit seiner Inschrift fordert es nur zur einzig sinnvollen Reaktion auf: „Denk mal, denk mal nach ...“

Michael Floiger